Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

18.10.2012   00:42   +Feedback

Hiebe aus Liebe

Eine 23jährige fünffache Mutter aus Dallas/Texas wurde von einem Gericht zu 99 Jahren Haft verurteilt, weil sie ihre zwei Jahre alte Tochter schwer misshandelt hatte. Sie trat dem Kind in den Bauch, schlug es mit einer Milchkanne und klebte die Hände des Mädchens mit einem Sekundenkleber an die Wand. Die Kleine erlitt schwerste Verletzungen, u.a. eine Hirnblutung, und lag mehrere Tage im Koma. Nachdem der Richter das Urteil gesprochen hatte, brach die Kindsmutter in Tränen aus und erklärte: „Alle sollen wissen, dass ich kein Monster bin. Ich liebe meine Kinder.“

Zwei Tage vor seinem 85. Geburtstag gab der deutsche Nationaldichter Günter Grass einem öffentlich-rechtlichen Radiosender ein Interview, in dem er Israel wieder einmal „eine Atommacht außerhalb jeder Kontrolle“ nannte, die Landraub betreibe und Menschen vertreibe. Die Vorwürfe gehören inzwischen zu Grass’ Programm wie seine Pfeife, die er immer wieder anzünden muss. Neu war nur die Begründung: „Ich finde, das Beste, was man als Freund Israels - des Staates Israel und der Menschen dort, und ich sehe mich als ein Freund Israels - diesem Land angedeihen lassen kann, ist, es zu kritisieren. Die verweigerte Kritik, so eine kritiklose, quasi philosemitische Haltung, ist für mich eine neue Form von Antisemitismus.“

Grass rechtfertigt seine „Israelkritik“ so wie die junge Mutter die Misshandlung ihrer Tochter. Beide meinen es gut mit den Objekten ihrer Fürsorge, wollen für sie nur das Beste. Folgt man dieser Definition der „Liebe“, waren die Nazis die besten Freunde der Juden, haben sie doch wirklich radikale Kritik am Verhalten der Juden geübt, die in dem Satz gipfelte: „Die Juden sind unser Unglück!“ Grass geht noch einen Schritt weiter, er sagt, dass Israel „den Weltfrieden bedroht“. Er tut das „als ein Freund Israels“, was wiederum erklärt, warum ihm zu dem atomaren Säbelrasseln der Nordkoreaner nichts einfällt und auch das Blutvergießen in Syrien keinen Zweizeiler wert ist.

Er ist eben kein Freund von Syrien oder Nordkorea, sein Herz schlägt für Israel. Wobei er auf keinen Fall in den Verdacht des Philosemitismus geraten möchte, der Antisemit vom Dienst der deutschen Gegenwartsliteratur.

Erschienen in der Weltwoche am 18.10.12

 

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