Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

04.02.2010   18:33   +Feedback

Seid nett zu den Deutschen!

Deutschland wandert aus. Und das deutsche Fernsehen geht mit. «Goodbye Deutschland! – Die Auswanderer» heisst eine Serie auf Vox; «Mein neues Leben» findet auf Kabel 1 statt; «Umzug in ein neues Leben» verspricht RTL; die ARD sagt zum Abschied leise «Deutschland ade».

Die Geschichten ähneln sich wie eine Sozialbauwohnung der anderen. Meist sind es einfache Menschen, die mit dem Umzug der Arbeitslosigkeit oder dem schlechten Wetter daheim entkommen wollen. Sie ziehen nach Mallorca, nach Thailand und auf die Malediven, um ihren Traum von einem selbstbestimmten Leben zu verwirklichen. Als Besitzer eines Strandcafés oder einer Tauchschule. Kaum angekommen, stellen sie fest, dass nicht überall in der Welt Deutsch gesprochen wird und dass sogar in den Tropen nichts umsonst zu haben ist.

Irgendwann ist die Party vorbei, dann heisst es Koffer packen und «Zurück nach Deutschland» auf Vox gucken.

Diese Programme können natürlich auch in der Schweiz gesehen werden. Und sie sind es vermutlich, die das Bild der Schweizer vom deutschen Auswanderer bestimmen: ungebildet, unbeholfen, unbeständig. Anders lassen sich die Ausbrüche von Animositäten gegen deutsche Zuwanderer derzeit nicht erklären.

Das Verhältnis der Schweizer zu den Deutschen – und umgekehrt – war schon immer problematisch. Den Schweizern war der grosse Bruder auf der anderen Seite des Rheins unheimlich: zu arrogant, zu mächtig, zu tüchtig. Die Deutschen wiederum fühlten sich bei aller imaginierten oder tatsächlichen Überlegenheit den Schweizern unterlegen; während sie die Welt an ihrem Wesen genesen liessen und dabei mehrfach Schiffbruch erlitten, verwandelten die Eidgenossen ihr kleines alpines Armenhaus mit Fleiss und Ausdauer in ein global operierendes Unternehmen.

Solange die Deutschen ihre Ferien in Gstaad und St. Moritz verbrachten, waren sie willkommen. Nun kommen sie aber als Ärzte, Ökonomen und IT-Experten, um in der Schweiz zu arbeiten. Und die Schweizer reagieren so, als wäre das Boot wieder voll und könnte durch ein paar Zusteiger zum Kentern gebracht werden. Das ist nicht nur kleinlich und kurzsichtig, es ist auch dumm und kontraproduktiv.

Gewiss sind die Schweizer nicht die Einzigen, die das Prinzip «Globalisierung» nicht verstanden haben. Auch die Deutschen freuen sich, wenn sie zu viert um den Preis von 500 Euro zwei Wochen Ferien in Antalya machen können, all inclusive; wenn aber das türkische Zimmermädchen einen besser bezahlten Job auf Rügen haben möchte, erfährt sie umgehend, wo die Grenzen der Globalisierung liegen.

Die Schweizer möchten unter sich bleiben. Das ist verständlich. Dabei ist der Anteil der «Bürger mit Migrationshintergrund» in der Schweiz dreimal so hoch wie in Deutschland. Warum sind dann die Vorbehalte gegen die Deutschen offenbar stärker als die gegen die Kosovaren und die Kroaten?

Die Deutschen, die in die Schweiz kommen, sind gebildet, motiviert und integrationswillig. Sie suchen keine Après-Ski-Abenteuer, sondern möchten ihr Können und Wissen gewinnbringend einsetzen. Sie fliehen vor einem bürokratischen Monster namens «Sozialstaat», das sich in alle Lebensbereiche seiner Bürger einmischt; sie wollen Steuern zahlen, aber nicht ausgeraubt werden; sie sind eine Bereicherung für jede Gesellschaft, in der Leistung als Tugend gilt.

Wenn die Schweizer also klug wären, würden sie die Deutschen mit offenen Armen willkommen heissen, statt sich darüber aufzuregen, dass Hacktätschli immer öfter Frikadellen genannt werden. Dass die Schweizer derzeit auf die Deutschen nicht gut zu sprechen sind, ist mehr als verständlich. Aber sie müssten dennoch in der Lage sein zu unterscheiden: zwischen einer Regierung, die Datendiebstahl belohnt und mit Hehlern Geschäfte macht, und Bürgern, die sich von einer solchen Regierung nicht mehr regieren lassen wollen. Den Deutschen, die in die Schweiz ziehen, ist wohl bewusst, was in Deutschland schief läuft. Sie artikulieren ihren Protest mit den Füssen.

Der «Germanophobie» der Schweizer ist zudem eine Ersatzhandlung. Gaddafi gegenüber hat sich die Schweiz ehrlos und wehrlos verhalten; stimmen Schweizer Bürger gegen Minarette, schwärmen sofort Emissäre des EDA in muslimische Länder aus, um den Regierungen in Riad und Islamabad das Wesen der schweizerischen Demokratie zu erklären. Frau Calmy-Rey legt ein Kopftuch an, wenn sie in den Iran reist. All das zeugt nicht von Würde und Selbstbewusstsein. Also wollen die Schweizer sich selber beweisen, dass sie auch anders können. Und da kommen ihnen die Deutschen wie gerufen. Man kann sie abwatschen, ohne dass sie böse werden. Sie werden sich nicht in die Luft sprengen und keine Schweizer Fahnen verbrennen. Sie werden der Schweiz nicht einmal mit einem Boykott der Schweizer Produkte drohen. Deutsche zu bashen, ist so ungefährlich wie bei Sprüngli sitzen und Rüeblikuchen essen.

Und allmählich könnten die Schweizer darüber hinwegkommen, dass es ein Deutscher war, der ihren Nationalhelden erfunden hat.

C: Weltwoche, 4.2.10

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