Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

13.08.2003   13:02   +Feedback

Tobias Kaufmann: Essen für den Holocaust


Zum Kotzen: Bilderder neuen PETA-Kampagne

Vor gut einem halben Jahr beluden palästinensische Terroristen einen Esel mit Sprengstoff, um ihn neben einem israelischen Linienbus in die Luft zu jagen. Das Tier explodierte jedoch zu früh und es gab nur wenige Verletzte. Die allgemeine Erleichterung konnte Ingrid Newkirk nicht teilen. Nach zwei Jahren des Mordens war mit diesem miesen Anschlag für die Präsidentin der internationalen Tierschutzorganisation Peta das Fass übergelaufen. Newkirk schrieb Palästinenserpräsident Arafat einen Brief. Darin forderte sie »seine Exzellenz« auf, an all jene, »die auf ihn hören«, zu appellieren, »Tiere aus dem Konflikt herauszuhalten.« Der Ausgewogenheit halber erwähnte Newkirk in dem Brief selbstverständlich nicht nur den armen Esel, sondern auch die anderen Opfer des Nahost-Konflikts. Die Katzen. Und zwar jene Katzen, die »so gut sie konnten« vor den israelischen Bulldozern flohen, als diese Arafats Amtssitz zu Leibe rückten. Das hatte Frau Newkirk im Fernsehen gesehen.

Auf die Idee, Arafat nebenbei noch zu bitten, an all jene, »die auf ihn hören« zu appellieren, dass sie keine unschuldigen Menschen töten sollen, ist die Peta-Chefin nicht gekommen. Natürlich nicht, denn schließlich sei es sei nicht die Aufgabe von Peta, »sich in menschliche Kriege einzumischen.« In menschliche Ernährungsgewohnheiten mischt sich Peta allerdings sehr wohl ein. Da passt es gut, dass ihre neue Kampagne für veganes Leben zum Kotzen ist. Ihr Titel: »The Holocaust on Your Plate”, zu deutsch: »Der Holocaust auf deinem Teller.« Auf den Plakaten werden zum Beispiel ausgemergelte KZ-Häftlinge in Baracken Hühnern in Legebatterien gegenüber gestellt. Auch für den Namen der Website, auf der die Kampagne zu bewundern ist, hat Peta sich etwas ganz besonderes ausgedacht: »masskilling.com.« soll künftig nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland ahnungslose Schnitzelliebhaber - in Veganer-Kreisen zärtlich Tierverbraucher, Leichenfresser, Aasfresser oder kurz und bündig Mörder genannt - über das abscheuliche Tun von Landwirten und Schlachtern aufklären.

Weder Proteste in den USA, noch der böse Verriss, den Süße und ich neulich im ZDF-Magazin »aspekte« gesehen haben, hat Peta Deutschland davon abhalten können, die Kampagne im Herbst oder spätestens Anfang 2004 hierzulande zu starten. Die Kritik sei völlig unbegründet, erklärte mir ein Peta-Sprecher am Telefon, denn: »Es geht uns ganz und gar nicht darum, den Holocaust zu verharmlosen«. Da sind wir aber froh. Um Missverständnissen vorzubeugen, sollte Peta vielleicht trotzdem wie bei Zigarettenpäcken einen Hinweis auf seine Plakate drucken. »Bei der Gleichsetzung von Menschen im KZ mit Hühnern geht es uns nur um die armen Hühner, aber keinesfalls um die Herabwürdigung von Menschen, schon gar nicht von Menschen im KZ. Und nebenbei geht es natürlich auch um den ein oder anderen Euro Spendengeld.«

Aber Peta hat sich bereits eine anderes Anti-Missverständnis-Mittel gesucht: Den jüdischen KZ-Überlebenden und Veganer Isaak Singer und dessen Satz: »Für Tiere sind alle Menschen Nazis«. Wenn Singer dies einmal gesagt hat, so die Logik von Peta, ist die Kampagne natürlich okay. Das funktioniert so ähnlich, wie mit dem linksradikalen israelischen Autor Uri Avnery. Dessen exklusive Ansichten zum Staat Israel dienen hierzulande jedem antisemitischen Nahost-Kommentator von der ganz linken »Jungen Welt« bis zur rechten »Nationalen Wochenzeitung« als Vorwand, losschlagen zu dürfen. Getreu dem alten Prinzip: »Seht her, der Jude gibt’s ja selber zu.«

Selbstverständlich haben auch Juden das Recht, totalen Blödsinn zu schreiben, ohne dass man dafür gleich alle Juden in Sippenhaft nehmen muss. »Für Tiere sind alle Menschen Nazis« ist ein ebenso auf den ersten Blick hübscher wie auf den zweiten Blick selten dämlicher Aphorismus. Unsere Katze Lilli ist mit Sicherheit anderer Ansicht - aber wahrscheinlich gilt sie nicht mehr als Tier, sondern als Kollaborateur. Ich würde mein Kätzchen auch von einem Herrn Singer ungern als eine Art ukrainischen Lagerpolizisten verunglimpfen lassen, aber ich kann mich nicht mit dem Mann herumstreiten, weil er nämlich seit Jahren tot ist. Und das ist für Peta wiederum ein noch größerer Glücksfall als es Uri Avnery wäre, denn so wird niemand Herrn Singer selbst fragen können, ob er tatsächlich ein Freund der Holocaust-Kampagne ist.

Aber auch ohne die Absolution eines Juden hat Peta zahlreiche Freunde. So ließ sich der Rapper Thomas D. zu dem Statement hinreißen, die Kampagne sei vielleicht noch nicht krass genug. Und ein Blick ins ZDF-Forum lässt dem geneigten Menschenfreund endgültig die Haare zu Berge stehen. »Tier-KZs sind schlimmer als Menschen-KZs. Weil sie ein vielfaches an Leid an leidensfähigen Geschöpfen erzeugen«, ist dort zu lesen. Oder: »Wahrscheinlich gibt es einige, die damals großzügig über die Judendeportationen hinweg gesehen hätten und sich heute über diese Kampagne aufregen.«

Trara, so schnell dreht sich der Tofu-Spieß! Wer die Gleichsetzung von Auschwitz und Hühnerschlachthöfen geschmacklos findet, der hätte auch gegen Auschwitz nichts unternommen! Das ist stimmig, denn im ZDF-Forum kann man nachlesen, dass Tierverbraucher sich grundsätzlich nicht für ihre Mitmenschen interessieren: »Entrechten, misshandeln, morden, fressen, ausscheiden - das ist alles was ihr wollt und könnt.« Und Fleischesser und Milchtrinker gehen sogar noch viel weiter: »Wer Tiere quält wird auch leichter in der Lage sein, Menschen zu quälen. Für mich sind z.B. Landwirte zu 99 % Tierquäler.«

Dass Tiere quälen die Einstiegsdroge zum Menschen quälen ist, gehört zur gesicherten Erkenntnis bei Peta. Ende Juni verschickte die Gruppe eine Broschüre an Stuttgarter Kindergärten und Schulen in einem Stadtteil, in dem es besonders viel häusliche Gewalt gibt. Titel der Broschüre: »Menschen, die Tiere quälen, belassen es selten dabei«. Und in der entsprechenden Pressemitteilung heißt es: »Wenn Väter ihre Kinder oder Frauen verprügeln, dann kommen auch die in der Familie lebenden Haustiere meist nicht ungeschoren davon«.

Die Theorie, dass radikale Tierschützer automatisch bessere Menschen sind, hat sich auch über den Kreis der 750000 Peta-Mitglieder hinaus offenbar durchgesetzt. An der Uni fand ich neulich eine Broschüre, in der Honig »Bienenerbrochenes« und Eier »Hennenmenstruationsprodukte« hießen. Außerdem gab es darin eine Definition für ein neues »Ismus-Wort«, dem Fetisch aller Soziologie-Studenten. »Speziesismus ist die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer Art, so wie Rassismus und Sexismus die Diskriminierung aufgrund der Zugehörigkeit zu einer ethnischen Gruppe bzw. zu einem Geschlecht sind. Antispeziesismus ist daher ebenso notwendig wie Antirassismus und Antisexismus.«

Ich bin Speziesist! Weil ich die Interessen der Spezies Menschen über die Interessen der Spezies Huhn setze. Das ist schlimm, aber nicht so schlimm wie das, was Süße auf dem Kerbholz hat. Süße ist ein Mörder. Weil sie als Pseudo-Vegetariern, die kein Fleisch isst, vom Milch-Raub, Eier-Diebstahl und Hühner-Mord profitiert. Ohne diese Tatbestände könnte sie weder Käse noch Kekse konsumieren. Und für den echten Veganer-Aktivisten sind Typen wie Süße bekanntlich noch schlimmer als ein mieser Leichenfresser wie ich. Das ist wie früher bei den Kommunisten, denen ein echter Nazi auch lieber war, als ein verräterischer Sozialfaschist.

Der wirklich gute Mensch setzt sich nicht etwa für hungernde Kinder oder verprügelte Ausländer ein, sondern diskutiert im Antispeziesisten-Forum das Problem der geselligen Stunden: »In allen Klassenstufen und manchmal mehrmals im Jahr gibt es Wandertage. Diese haben oft nicht mehr viel mit Wandern zu tun, so denken sich die Speziesisten u.a., dass man doch mal eben gesellig ein paar Leichenteile verbrennen kann, was auch Grillen genannt wird. Für die wenigen Antispeziesisten und somit Veganer können hier Tipps und Ratschläge gesammelt werden, wie man sich in solchen Situationen verhalten soll.« Einfach eine Aubergine grillen ist übrigens kein angemessenes Verhalten, weil es bedeuten würde, dem schreienden Unrecht auszuweichen, statt es aktiv zu bekämpfen. Denn »die Konsumenten der Tierqualprodukte tragen hier als Auftraggeber die gleiche Schuld, wie ihre Vollstrecker!«

Kein Fußbreit den Speziesisten - auch Hitler aß gerne Fleisch. Ja, sie lesen richtig. Auf der Homepage des Deutschen Vegetarierbundes räumt Rynn Berry in einem Essay mit dem Vorurteil auf, Hitler sei Vegetarier gewesen. Dies könne nicht nur deshalb nicht sein, weil es Beweise für den gelegentlichen Fleischkonsum des Massenmörders gibt, sondern, weil Hitler sich nicht entsprechend benommen hat: »Darüber hinaus hätte er es sicher nicht versäumt und der deutschen Bevölkerung eine fleischfreie Ernährung verordnet - immerhin hätte er damit die Nahrungsmittel-Knappheit im II. Weltkrieg bewältigt.« Was Berry damit sagen will? So wie alles andere, was Hitler der »deutschen Bevölkerung verordnet« hat, rational begründbar und richtig war, wäre es auch ein NS-Fleischkonsumverbot gewesen. Es sollte in diesem Zusammenhang nicht vergessen werden, dass die Nazis gleich zu Beginn ihrer differenziert zu betrachtenden Regierungszeit strenge Tierschutzgesetze erließen. Dass sie das Schächten wegen angeblicher Grausamkeit verboten haben und dass sie Kampagnen gegen die »Tierversuche der jüdischen Schulmedizin« starteten, deren praktische Folge bekanntermaßen Versuche der arischen Schulmedizin an jüdischen Menschen waren.

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Trotzdem finde ich, Berry greift zu kurz. Auch Peta hat nichts begriffen. »Holocaust auf deinem Teller« ist bienenerbrochene Effekthascherei gegen den einen großen Zusammenhang, der mir beim Lesen all der Peta-Tierschutzfaktenblätter plötzlich klar geworden ist. Wäre Hitler Veganer gewesen, hätte es den II. Weltkrieg nicht gegeben! Und durch die fleischfreie Ernährung, die Hitler den Deutschen verordnet hätte, hätte es auch keine Massentierhaltung gegeben und deshalb keine KZs und keinen Holocaust und deshalb keinen Staat Israel und keinen Nahost-Konflikt und der palästinensische Esel würde noch immer friedlich Körbe mit Oliven durch Ramallah tragen. Und Ingrid Newkirk würde vielleicht gerade in diesem Moment eine Adolf-Hitler-Gedenk-Briefmarke mit 10 Cent Spendenanteil für Peta auf einen Liebesbrief an Yassir Arafat kleben. Oh, wäre doch nur jemand dem Führer beim Grillen in den Arm gefallen!

Bullet

...einige Tage später erreichte uns folgende Stellungnahme von PETA-Deutschland, die wir Ihnen nicht vorenthalten möchten:

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich bitte um Veröffentlichung meines Leserbriefes zu dem oben genannten Artikel.

Das Konzept unserer Kampagne entstand aus der Aussage des jüdischen Autors, Nobelpreisträgers und Vegetariers Isaac Bashevis Singer: »Wenn es um [Tiere] geht, wird jeder zum Nazi; für [sie] ist jeden Tag Treblinka.« Wie Sie vielleicht wissen, flüchtete Singer aus Europa, als die Nazis an die Macht kamen, und verlor im Holocaust den Großteil seiner Familie. Als Ergebnis dessen, was er durchlebt und gesehen hatte, wurde er Vegetarier. Bis zu seinem Tod im Jahr 1991 sprach er sich für den Vegetarismus aus. Er argumentierte, es mache keinen Unterschied, wer die Opfer sind - wir müssen uns gegen jede Gräueltat und Grausamkeit aussprechen und helfen, sie zu beenden.

Wir greifen mit dieser Kampagne die Denkweise an, die es zuließ, dass in den 40-er Jahren 12 Millionen Menschen abgeschlachtet wurden. Die Apathie und Gleichgültigkeit, die zuließen, dass Juden, Homosexuelle, geistig Behinderte in den Tod transportiert wurden, ist dieselbe, gegen die wir heute ankämpfen. Der Angriff ist ein Angriff gegen Unterdrückung, Vorurteile und Grausamkeit.

Denjenigen, die den modernen Tier-Holocaust mit der Begründung verteidigen, die Tiere werden geschlachtet weil sie uns als Nahrung dienen, stelle ich eine Frage: Wenn die Opfer des Holocaust gegessen worden wären, hätte dies den Missbrauch und die Morde gerechtfertigt? Da aus den Häuten der Opfer Lampenschirme, Seife und andere »nützliche« Artikel gemacht wurden, ist das eine Entschuldigung oder Rechtfertigung für den Holocaust? Nein, Schmerz ist Schmerz, Leid ist Leid, Ungerechtigkeit ist Ungerechtigkeit.

Es ist eine rassistische Ansicht zu sagen, Menschen umzubringen sei etwas anderes. Es ist, wie wenn ich sagen würde, es sei nicht dasselbe, Ihr Kind oder mein Kind zu töten. Wir sollten jegliche Gemetzel stoppen. Frauenrechte sind nicht weniger wichtig als Männerrechte. Wir sind alle wichtig. Uns Menschen fällt es schwer zu akzeptieren, dass es ethisch keinen Unterschied machen soll, Menschen oder Tiere zu töten, weil es uns betrifft. Wenn Sie die Mutter eines Pavians fragen, ob es schrecklicher sei, ihr Kind zu töten oder das Kind eines Schweins, wird sie sagen, ihr Kind. Wir sind biologisch so programmiert, unsere Art zu erhalten.

Oft lehnen wir uns gegen Vergleiche zwischen dem Elend der Tiere und dem Elend menschlicher Opfer der Unterdrückung auf - doch nur deshalb, weil wir noch nicht dazu bereit sind, unsere eigenen Rolle beim Schicksal der Tiere zu akzeptieren. Es ist einfach, Barbarei zu verurteilen, wenn wir zeitlich und räumlich von ihr getrennt sind.

Wie Dr. Patterson in Eternal Treblinka so treffend darlegt und erklärt, war es die Bereitwilligkeit der Menschheit, Massengrausamkeiten gegen nicht menschliche Lebewesen zu begehen, die es Bewegungen wie dem Nazitum ermöglichte, den Weg durch einfachen Vergleich von Mensch und Tier zu ebnen

Wir wären nutzlos, wenn wir nicht täten, was das Holocaust Museum in Washington einst gesagt hat: »Man muss von der Geschichte für die Gegenwart lernen«. Heute tötet niemand mehr Juden, Fahrende oder Homosexuelle. Heute geschieht eine andere Art der Ausbeutung. Der Holocaust war abscheulich. Doch: Was lernen wir daraus?

Vorurteile oder Ausbeutung auf der Grundlage der Artzugehörigkeit sind nicht akzeptabler als jedes andere Vorurteil oder jede andere Ausbeutung. Es war falsch zu sagen, Juden oder Zigeuner litten nicht genau wie andere Menschen, sie seien weniger wichtig, und es ist noch immer falsch zu sagen, Hühner, Schweine und andere sogenannte »Nutztiere« litten nicht genau wie wir - sie seien unwichtig.

Dr. Helmut Kaplan, Autor und Philosoph, schreibt: »Unsere Enkel werden uns einst fragen: Wo wart ihr während des Holocaust gegen die Tiere? Was habt ihr gegen diese entsetzlichen Verbrechen gemacht? Ein zweites Mal können wir uns nicht darauf hinausreden, nichts gewusst zu haben«. Der Holocaust fand statt, weil Menschen vor der Grausamkeit ein Auge zudrückten. Werden wir nun wieder Grausamkeit und Ungerechtigkeit den Rücken zukehren? Jedes mal, wenn ein Mensch sich zum Essen hinsetzt, trifft er die Wahl, ob er den Holocaust gegen die Tiere unterstützt oder ob er hilft, ihn zu beenden. Wir sollten uns nicht heraussuchen, welchen Gräueltaten wir uns zu widersetzen haben. Als menschliche Wesen sollten wir uns allen Gräueltaten widersetzen.

Mit freundlichen Grüßen,

_________________________________________ Harald Ullmann PETA-Deutschland e.V. Pforzheimer Str. 383 70499 Stuttgart Te.: +49 (0)711-866-6165

13.08.2003

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