Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
03.09.2012 14:58 +Feedback
... am Rande des Nervenzusammenbruchs
Nur für den Fall, dass Sie noch nichts von der “Assoziation für kritische Gesellschaftsorschung” gehört haben: Es handelt sich um eine Art Thinktank im Hohlraum zwischen SPD und Linkspartei, einen “offenen Zusammenschluss von Sozialwissenschaftlerinnen und –wissenschaftlern”, die sich an einer “Diskussion gesellschaftskritischer Theorieansätze, deren Reproduktion und Weiterentwicklung in Zeiten ihrer zunehmenden Marginalisierung an den Hochschulen” beteiligen wollen. Einer der gesellschaftskritischen Theorieansätze, die zur Diskussion stehen, lautet: “Ist die Basis wirklich die Grundlage des Fundaments”, ein anderer problematisiert die “Transformationsprozesse des Sicherheitssektors im Neoliberalismus”.
Daneben findet aber auch eine interne Debatte zu aktuellen Themen statt. Zum Beispiel zu der Frage, ob Judith Butler den Adorno-Preis verdient hat. Und die läuft so:
Liebe AkG, lieber Alex,
Nicht jede Kritik an Butlers Haltung zur Hamas oder zu gewissen Boykottaufrufen ist zwangsläufig bellizistisch. Ebensowenig stellt eine Verortung der Hamas im Spektrum der politischen Linken ein pazifistisches Signal dar, insofern die Hamas selbst eine antisemitisch begründete bellizistische Postion vertritt. Eben dafür darf Butler grundsätzlich kritisiert werden, ohne dass solche Kritiken zwangsläufig als bellizistisch zu bezeichnen wären. Selbstverständlich gibt es auch bellizistische Kritiken an Butlers Positionierung zur Hamas, solche sind kritisch zu betrachten und zwar auf Grund ihres Bellizismus, der sich Butlers Äußerungen zur Hamas instrumentell aneignet. Zahlreiche antideutsche Kritiken fallen in diese Kategorie und isolieren sich damit weitgehend. (Müssen wir uns mit diesen auseinandersetzten?) Butlers Positinierung zur Hamas wird indes nicht unproblematischer, weil ein Teil ihrer KritikerInnen bellizistisch ist. Wenn Menschen vor dem Hintergrund dieser Positionierung die Vergabe des Adorno Preises nicht nachvollziehen können, so kann ich das verstehen. Und obwohl ich selbst die Preisvergabe gar nicht kritisiere, möchte ich sie vor dieser an sich legitimen Kritik nicht in Schutz nehmen. Sie wird sich m. E. selbst mit dieser Kritik auseinandersetzen müssen.
Ein ganz eigenes Problemfeld, welches sich im Grunde über den Nahostkonflikt hinaus erstreckt, ist die Praxis des zumindest partiell Identifizierens westlicher ForscherInnen mit antiwestlichen oder religiös-antisäkularen Bewegungen. Letztere geschieht häufig in Form einer Annerkennung ihrer Postionen als “antiimperialistisch” oder aber einer Wahrnehmung als “Expression von Subalternität gegen laizistische Eliten”. Sie ist indes nicht nur auf Butler beschränkt – sie findet (in unterschiedlichen Maßen) sich innerhalb sämtlicher marxistischer, feministischer, postkolonialer, imperialismuskritischer und postrukturalistischer Strömungen. Ebenso ist sie nicht auf den Nahostkonflikt beschränkt, in zahlreichen nicht westlichen Gesellschaften helfen derartige Diskurse dabei ein “Anderes” zu konstituieren und zu Herrschaft zu organisieren. Diese nicht-westlichen Okzidentalismen sehe genauso problematisch wie westliche Orientalismen. Auch deshalb sehe ich es kritisch, wenn WissenschaftlerInnen, wie Butler, die Hamas innerhalb der politischen Linken einordnen. Im konkreten Fall d.h. ihrer Positionierung zur Hamas indiziert ein Aufsitzen auf zumindest partiell antiwestlichen bzw. religiös-antisäkularen Narrativen, insofern diese Narrative dem vorgeblichen Antiimperialismus der Hamas inhärent sind. Diesen Fehler hat nicht nur Butler, sondern viele andere Linke auch strömungsübreifend zu häufig getan und er keinen Beitrag zur Überwindung rassistischer, kolonialer, sexistischer und klassistischer Herrschaftsverhältnisse geleistet.
Mit den Spätfolgen derartiger Bewertungen durch westliche Wissensschaffende werde ich in meiner Arbeit tagtäglich konfrontiert, wenngleich ich nicht zum Nahostkonflikt, sondern zur Türkei forsche, wo okzidentalische Klischees seitens religiöser Bewegungen permanent zur Repression der politischen Linken mobilisiert werden. So frage ich mich, warum wir Stellung zu Gunsten Butlers beziehen sollen, wenn sie durch Identifikation der Hamas als Teil politischen Linken einen vergleichbaren Fehler begeht, d.h. den Okzidentalimus der Hamas mit einer emanzipatorischen Position verwechselt. Deshalb tue ich – gelinde gesagt – mich einer solidarischen Stellungnahme in dieser Sache so schwer, obgleich ihr Gesamtwerk durchaus zu schätzen weiß und sie als eine sie als eine würdige Trägerin des Adorno Preises ansehe.
Beste Grüße
Axel G.
Lieber Alex,
sicher hat die AkG, wie alle anderen auch, das Recht zu allem Möglichen Stellung zu beziehen. Und man kann sich über Verfahren einigen, ob das der Vorstand alleine, nach Mitgliedervotum oder wie auch immer machen kann. Ich fände es allerdings gut, wenn es auch eine Diskussion darüber gäbe, was mit solchen Stellungnahmen angestrebt werden soll, zu welchen Themen wir uns verhalten wollen etc.
Im konkreten Fall ist mir nicht so richtig klar, auf was eine Stellungnahme tatsächlich abzielen soll. Ich nehme mal an, dass niemand ernsthaft davon ausgeht, dass Judith Butler auf die Unterstützung der AkG angewiesen ist: ihre Möglichkeiten publizistisch Gehör zu finden, sind erheblich größer als die der AkG (und wahrscheinlich auch größer als die ihrer Kritiker). Mir scheint es eher die schon lange vorhandene Kritik an antideutschen und bellizistischen Positionen und dem schnell vorgebrachten Antisemitismusvorwurf zu sein, der eine Stellungnahme motiviert. Wenn dieser Eindruck richtig ist, fände ich es aber besser, wenn man mit diesen Positionen eine direkte Auseinandersetzung führen würde, anstelle eine solche Kritik in eine kurze Solidaritätserklärung hineinzupacken, wo Argumente notwendigerweise verkürzt werden.
Wenn es aber wirklich um Judith Butler und die Kritik an ihr gehen soll, dann müsste man sich auch mit ihren Positionen auseinandersetzen. Dass sie Hamas und Hisbollah zur globalen Linken rechnet, weil diese sich selbst als antiimperialistisch verstehen und Antiimperialismus doch ein Merkmal der globalen Linken sei (wie sie nochmals in dem Zeit-Artikel erklärt), dann ist das nicht einfach naiv. Vielmehr geht sie dabei von einem Begriff der Linken aus, für den die Abgabe eines antiimperialistischen Bekenntnisses offensichtlich wichtiger ist als ein emanzipatorischer Inhalt. Und so ein Verständnis von links finde ich überaus problematisch und kritikwürdig.
Genauso problematisch finde ich ihre Unterstützung des BDS (was auch nicht dadurch besser wird, dass sie diese Gruppe nur “mit Einschränkungen” unterstützt, wie sie in der Zeit schreibt). Wenn ich den wissenschaftlichen und künstlerischen Austausch mit israelischen Institutionen boykottiere, es sei denn sie distanzieren sich entschieden von der Regierungspolitik, dann muss man schon fragen, warum man nur im Falle Israel so vorgeht und nicht auch gegenüber den Institutionen anderer Länder. Rechtfertigen ließe sich das nur, wenn die israelische Besatzungspolitik ein einzigartiges Verbrechen darstellt, dem eben nichts anderes, was andere Länder treiben gleichkommt. Soll das die Botschaft sein?
Die hier vorgebrachten Kritikpunkte an Butler rechtfertigen in keiner Weise den Vorwurf des Antisemitismus oder des “jüdischen Selbsthasses”, da sind wir uns wahrscheinlich einig. Wenn die AkG aber in diese Debatte eingreifen will, dann sollte man sich nicht darauf beschränken diese Vorwürfe zurückzuweisen, dann sollte man sich auch mit den kritischen Punkten bei Butler auseinander setzen. Ansonsten fügt man der einen publizistischen Schwarz-Weiß-Malerei lediglich eine weitere hinzu.
Viele Grüße
Michael
Lieber Thomas,
bisher hat es nur eine Stimme gegeben, die sich gegen eine solche solidarische Erklärung
zugunsten von Butler ausgesprochen hat. Das war ein grundsätzlicher Zweifel an der
Legitimität einer solchen Stellungnahme und eine inhaltliche Kritik an der
poststrukturalistischen Ausrichtung der Arbeiten von Butler. Diesen inhaltlichen Aspekt
sollten wir noch weiter diskutieren, aber vielleicht nicht in diesem Zusammenhang. Dann
wäre auch die Frage danach zu stellen, was Poststrukturalismus ist und ob Butlers Ansatz
mit all seinen ethischen Argumenten poststrukturalistisch ist. Ich meine, dass wir als AkG -
wie alle anderen in dieser Gesellschaft - das Recht haben, zu einer solchen politischen und
wissenschaftspolitischen Kontroverse Stellung zu beziehen. Es geht ja nicht zuletzt darum,
daß es immer wieder möglich ist, mit vermeintlich linken Argumenten und unter Bezug auf
die Kritische Theorie an KritikerInnen der US-Politik und der israeIischen Regierung Rufmord
zu begehen. Damit dominieren Bellizisten immer wieder die politische Diskussion und
entwenden die Tradition der kritischen Theorie. Von einer Verharmlosung des
Antisemitismus und des NS-Rassismus will ich erst gar nicht sprechen. Im konkreten Fall
kommt noch hinzu, dass Butler für eine kritische Forschung steht, dazu viel Mutiges
beigetragen und einige von uns, unter anderem mich, in kritischen Situationen an der
Universität unterstützt hat.
Ich meine, der Vorstand sollte klären, wie nach unserer Satzung zu verfahren ist.
Wahrscheinlich hat schon der Vorstand selbst das Recht, eine solche Erklärung abzugeben.
Ansonsten könnten die Mitglieder darüber abstimmen, ob eine solche Erklärung gemacht
werden könnte. Im zweiten Schritt wäre dann über eine solche Erklärung selbst
abzustimmen. Wenn das alles nicht möglich sein sollte, sollte auf einer
Mitgliederversammlung darüber nachgedacht werden, das zu ermöglichen. Es wird ja immer
wieder Situationen geben, in denen die AkG handlungsfähig sein und sich öffentlich äußern
können sollte.
Grüße
Alex
Liebe Leute,
angesichts der kontroversen Positionen in der AkG ist eine gemeinsame Stellungnahme zur Kritik an Judith Butler wohl nicht möglich. Aber das muss ja einzelne nicht davon abhalten, sich dazu zu äußern.
Benjamin Weinthal, der die Kritik an Butler in die Jerusalem Post getragen hat, ist übrigens auch schon in einem anderen Fall aufgefallen, als es darum ging Pax Christi und Bodo Ramelow als Feinde Israels abzustempeln.
Wie sich in diesem Fall Henryk M. Broder und Weinthal die Bälle zugespielt haben, wird in dem Text “Wie ‘Feinde Israels’ erfunden werden:“Dekonstruktion einer Kampagne” dargestellt:
http://www.bodo-ramelow.de/nc/politik/texte/detail_texte/zurueck/texte/artikel/dekonstruktion-einer-kampagne-wie-feinde-israels-erfunden-werden-1/
Viele Grüße
Thomas
liebe sonja, liebe alle,
super, danke für den kick off. ich habe mir heute ziemlich alles reingezogen, was es so im netz gibt (nebenbei auch alles über die geschichte der antideutschen) und bin ziemlich verblüfft: nach einem eher
kleinen blogeintrag von ostensacken in der jungle world anfang juni, brumlicks tazartikel am 4. juni, auf den ostensacken wiederum in der jungle world reagiert, ist erst mal langes schweigen. die kampagne nimmt erst letzte woche wirklich fahrt auf, wobei die protagonisten gegenseitig aufeinander verweisen - jungle world und jerusalem post - und mit der stellungnahhme des zentralrates bekommt das ganze dann auch einen prominenten platz in der bürgerlichen presse. interessanterweise ist der korrespondent der jerusalem post ein spezie von ostensacken. es scheint wirklich eine
erfolgreiche konzertierte aktion von wenigen leuten gewesen zu sein. however, ich musste das mal loswerden.
wir sollten uns dransetzen.
liebe grüße
margit
liebe akg-mitglieder, liebe sonja, lieber jens,
ich habe auch schon darüber nachgedacht, vor allem auch, weil ich seit montag wegen butlers replik und deren übersetzung, die gestern in der zeit erschienen ist (http://www.zeit.de/kultur/literatur/2012-08/judith-butler-kritik-israel-antwort), mit ihr in kontakt stehe. ich würde mich gerne an der vorbereitung einer stellungnahme beteiligen, wechsle aber in den
nächsten tagen öfter den ort, sodass ich nicht permanent erreichbar bin.
danke für die initiative, liebe grüße,
isabell
Liebe AKG-Mitglieder,
da wir eine ausufernde Diskussion auf dem großen Verteiler vermeiden wollen, nutzen wir diesen Mitgliederverteiler, für folgende Problematik:
Anlässlich der anti-deutschen Kritik an der Adorno-Preis-Verleihung an Butler, die inzwischen von dem Zentralrat der Juden aufgegriffen wurde, fragen wir uns, müsste nicht von der AKG eine
Stellungnahme gegen die Anti-Butler-Kampagne ausgehen? Müsste nicht überhaupt die akademische Linke sich zu diesen Vorwürfen äußern?
Gibt es Leute unter Euch, die vielleicht soetwas schon vorbereiten oder darüber diskutieren oder sich vorstellen könnnen, so etwas vorzubereiten? Bzw. was haltet Ihr überhaupt davon?
Wir sind auch der Meinung, dass die analtyische Zurechnung von Hamas und Hisbollah zur globalen Linken falsch ist, daraus allerdings den Vorwurf des Anti-Semitismus und des >jüdischen Selbsthasses<, bzw. Israel-Hasses< zu konstruieren ein repressiver Versuch ist, eine kritische Position diskursiv zu isolieren. Das Werk von Judith Butler steht aus unserer Sicht in der Tradition der kritischen Theorie und genau das wird mit der Fokussierung auf diese Äußerungen negiert. Und das zu einem Zeitpunkt , da endlich einmal eine wirklich kritische Theoretikerin einen solchen Preis erhält.
Viele Grüße
Sonja und Jens
Großartig, nicht wahr? Jetzt wissen Sie wenigstens, wozu die deutsche Bildungskatastrophe geführt hat, warum “Intellektueller” mittlerweile ein Schimpfwort ist und auf wen Sie sich besser nicht verlassen sollten, wenn es in diesem Land wirklich ungemütlich wird. Hier noch eine weitere Stellungnahme eines ganz besonders begnadeten akademischen Kretins, der die Hamas für eine karitative Institiution hält, die mit Gebrauchtwagen handelt.
Lieber Thomas,
die Frage, die Serhat und andere aufgeworfen hat, ist ja wirklich wichtig. Aber notwendigerweise mußte sie ja erst mal liegen bleiben, um die Erklärung zu den Angriffen auf Butler zu diskutieren.
Es wäre sicherlich interessant, genauer zu wissen, wie Hisbollah oder Hamas funktionieren. Möglicherweise hat es eine gewisse Ähnlichkeit mit der Katholischen Kirche oder der Tea Party, also auch eine karitative Funktion. Solange die Welt so elend ist, wie sie ist, gibt es - frei nach Marx - auf allen Seiten das Bedürfnis nach Religion und auch materieller Unterstützung - und schlimm genug, daß von manchen in der “Linken” Partei für religiöse Eiferei irgendeiner Provenienz ergriffen wird anstatt zu überlegen, wie dem Elend abzuhelfen wäre.
Aber das Moment der Gewalt sollte vielleicht auch nicht vergessen werden. Aus dem Gaza herauszukommen, ist offensichtlich schwierig, also müssen sich die Leute der Hamas unterordnen oder selbst was organisieren, was aber nicht so leicht sein dürfte nach den bewaffnet ausgetragenen Konflikten mit der Fatah und der faktischen Spaltung der Palästinenser. Über die Hisbollah gab es in der NZZ gerade einen langen Artikel, in dem gezeigt wurde, dass sie eine der großen und wichtigen weltweiten Drogenhändlerorganisationen ist. Sie waschen das Geld auf dem Umweg über die USA, indem sie dort viele Tausende Gebrauchtwagen kaufen und dann nach Afrika schaffen, um sie dort zu verkaufen. Dort gibt es angeblich von Satelliten aus zu sehende riesige Parkplätze. Wenn das zutrifft, dann stellen sich noch weit mehr Fragen nach der Funktion und der Dauerhaftigkeit einer solchen Organisation. Dann gehören muslimische Glaubensbekenntnisse, die Hilfe für die Armen, der ‘Antizionismus’ und ‘Antiimperialismus’ auch zum Geschäft.
Herzlich
Alex
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