Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.03.2012   12:03   +Feedback

Heute bei Anne Will: IM “Dieter” und IM “Willy”

Von Talk-Show-ModeratorInnen so etwas wie politisches Bewusstsein zu erwarten, wäre so naiv, als würde man von einem Profi-Politiker annehmen, dass er seine Doktorarbeit selber schreibt. Aber es gibt eine Untergrenze,  die sogar Will & Co. beachten sollten, wenn sie dazu intellektuell und emotional in der Lage wären. Kurz vor der Wahl von Joachim Gauck zum Bundespräsidenten hatte Anne Will Peter-Michael Diestel ins Studio geladen. Diestel war der letzte Innenminister der DDR und in dieser Funktion für die Vernichtung eines wesentlichen Teil der Stasi-Akten politisch verantwortlich. Nach der Wende entdeckte er seine Unschuld und klagte gegen jeden, der es wagte, ihn in einen Zusammenhang mit der Bereinigung der Aktenbestände zu bringen. Am Ende freilich blieb der durchtrainierte Kampfsportler vor Gericht zweiter Sieger. Es half ihm auch nichts, dass seine Zeugen einen Meineid nach dem anderen schworen. In der Will-Sendung machte er dann dort weiter, wo er als Innenminister der DDR aufhören musste. Er nannte Gauck einen Zersetzer. Ohne dass ihm irgendjemand aus der Runde ins Wort fiel.

Dabei gibt es kaum einen zweiten Begriff in der deutschen Sprache, der dermaßen negativ besetzt wäre, und das gleich zweifach. Für die Nazis galten vor allem jüdische Intellektuelle als “zersetzende Elemente”, die Stasi organisierte “Zersetzungsmaßnahmen” gegen Leute, die in der DDR nicht die Vollendung eines sozialistischen Traums sahen. Und wenn Diestel dann Gauck einen Zersetzer nennt, geht das bei Will so unwidersprochen durch, als habe er “Hansa-Rostock” einen “Absteiger” genannt.

Aber Diestel war wenigstens kein IM, ganz im Gegentiel zu Dr. Diether Dehm, einer der übelsten Figuren im politischen Abwassersystem der Bonner Republik. Seine Stasi-Akte ist 400 Seiten dick, das einzige Dokument, das fehlt, ist eine “Verpflichtungserklärung”, weswegen Diether Dehm alias IM Dieter alias IM Willy bis heute behauptet, er sei von der Stasi “abgeschöpft” worden. Freilich, um sich abschöpfen zu lassen, ist er immer wieder zu konspirativen Treffen nach Ost-Berlin gereist.  Vor weniger als zwei Jahren hat der umtriebige Musik-Manager auf die Frage, wen er lieber als Bundespräsidenten sehen möchte, Gauck oder Wulff, geantwortet: “„Was würden Sie machen, wenn Sie die Wahl zwischen Stalin und Hitler hätten? Was würden Sie denn machen, wenn Sie die Wahl zwischen Pest und Cholera haben?”

Und diese Kanalratte sitzt heute Abend bei Anne Will. Es geht um Fussball, Dehms Vater, so steht es in der Ankündigung der Sendung, “war Profifußballer beim FSV Frankfurt”, was den Sohn offenbar zum Fachmann qualifiziert. Von seiner Stasi-Mitarbeit findet sich dagegen in dem Programmhinweis kein Wort. Das muss der Zuschauer ja nicht wissen. Anne will es auch nicht wissen. Hoffentlich hat sie wenigstens ein Sagrotan-Tüchlein bei sich, falls ihr feiner Gast sie abschöpfen möchte.

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