Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
11.08.2011 09:39 +Feedback
Selten zuvor ist ein Massenmord so schamlos missbraucht worden. Die Toten von Oslo und Utöya waren noch nicht beerdigt, da setzte ein Sturm der Schadenfreude ein, notdürftig getarnt als Anteilnahme und Betroffenheit. Von ganz links bis ganz rechts, von der Taz bis zur National-Zeitung, jubelte das Justemilieu der Berliner Republik: «Wir haben es kommen sehen!» Zwar habe Breivik die Tat begangen, verantwortlich und mitschuldig seien aber andere: die «Islamkritiker» und die «Rechtspopulisten», die ein «Klima» geschaffen hätten, das ein solches Verbrechen möglich gemacht habe, namentlich Geert Wilders, Thilo Sarrazin und der «jüdische Publizist» (Stern) Henryk M. Broder.
Zwar hatte Breivik in seinem «Manifest» auch andere «Quellen» genannt – u.?a. Franz Kafka, Adam Smith, John Stuart Mill und Immanuel Kant – aber an die ranzukommen, wäre schwieriger gewesen. Also nahm man sich der Sündenböcke an, die zur Verfügung standen. Ein Kommentator brachte die Sache auf den Punkt, er schrieb: «Weshalb Broder zum Federhalter greift – während sich Breivik stattdessen Glock und Ruger bediente.»Ein Berliner Professor, der vor kurzem keine Bedenken hatte, einer antisemitischen Website ein Interview zu geben, befand: «Der Sumpf ist nicht unbedingt schuld an den Blüten, die auf ihm gedeihen. Aber ohne den Sumpf gäbe es diese Blüten nicht.» Die «geistigen Brandstifter», orakelte ein Kaffeesatz-Analyst, würden nun versuchen, «sich davonzustehlen, man sollte sie nicht einfach so damit durchkommen lassen».
Die Debatte, ob und unter welchen Umständen Worte zu Taten führen, ist nicht illegitim. Man könnte zum Beispiel auch nach der Verantwortung ebenjenes Justemilieu fragen, das noch für jeden Terroranschlag, von den Aktionen der deutschen RAF bis zu 9/11, mildernde Umstände fand und so möglicherweise den Norweger auf die Idee gebracht haben könnte, es den anderen Terroristen nachzumachen. Zu beweisen ist das nicht, möglich wäre es. Es geht ja um Nebenwirkungen. Deswegen sollte sich niemand wundern, wenn demnächst vor dem Kauf islamkritischer Bücher gewarnt wird: «Achtung! Zu Risiken und Kollateralschäden lesen Sie die taz oder fragen Sie den Mann vom Stern.»
©: Die Weltwoche, 10.8.11
Siehe auch:
http://www.taz.de/Debatte-Islamkritik/!75989/
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