Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
28.08.2011 12:33 +Feedback
Angesichts der Bilder von der Ostküste der USA, die derzeit von “Irene” heimgesucht wird, frage ich mich, was unsere “Naturfreunde”, die “im Einklang mit der Natur leben” möchten, machen würden, wenn so etwas bei uns passieren würde. Ihre schicken Outdoor-Jacken anziehen und im Freien spazieren gehen, gemäß dem Motto: “Es gibt kein schlechtes Wetter, es gibt nur die falsche Kleidung”? Zu einem “alternativen Picknick” einladen, verbunden mit einem Vortrag über die Einsatzmöglichkeiten erneuerbarer Energien, vor allem der Windkraft? Versuchen, die von “Irene” erzeugte Energie in Eimern abzufüllen, um sie später in windarmen Stunden in das Netz einzuspeisen? Oder würden sie sich in einen tiefen Keller verkriechen und beten, dass der Sturm vorbeiziehen und sie verschonen möge?
Was diese Kitschköpfe für Natur halten, das sind glückliche Kühe auf grünen Weiden, Sonnenauf- und Untergänge auf Hiddensee und Tofuschnitzel aus dem Biomarkt. Aber Natur ist doch mehr. Mörderische Stürme, Fluten und Erdbeben, Hitze- und Kältewellen, Dürre-Katastrophen und EHEC-Epidemien, das ganze beschissene Naturprogramm rauf und runter. Und der Komparativ von Natur ist “unberührte Natur”: Urwald ohne Air Condition, darin wilde Tiere und Eingeborene, die noch mit Pfeil und Bogen nach Essbarem jagen und, wenn sie nix erwischen, sich gegenseitig über dem Feuer rösten. Wer im Einklang mit der Natur lebt, hat gute Aussichten, an Hunger oder an einer Blinddarmentzündung zu sterben.
Das Gegenteil von Natur ist Zivilisation: Seife und Zahnpasta, Kühlschrank und Mikrowelle, PID und SMS, Raumfahrt und Teflonpfanne, Viergang-Automatic und Dialyse. Wer “im Einklang mit der Natur” leben möchte, sollte auf all das verzichten. Also, raus ins Freie, Naturfreunde. Irene kommt gleich.
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