Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
16.12.2010 11:02 +Feedback
Stellen Sie sich bitte Folgendes vor: Eine Gruppe ausgedienter Politiker, einige von ihnen partiell erfolgreich, andere erbärmlich gescheitert, trifft sich zu einem fröhlichen Beisammensein in einem Fünfsternehotel. Es gibt ein exzellentes Essen, hinterher sitzt man gemütlich bei französischem Cognac, italienischem Käse und belgischen Pralinés an kleinen Tischen und tauscht Erinnerungen aus. Und natürlich wird auch über die Politik von heute gesprochen, die nichts taugt, weil sich die Politiker nichts mehr trauen.
«Das sind doch alles Kuscheltiere», sagt ein Teilnehmer der Runde. «Die muss man zum Jagen tragen», sagt ein anderer. Alle nicken. Da steht ein Dritter auf, greift nach seinem Stock, ruft: «Wir sollten denen mal zeigen, wie Politik gemacht wird!», und lässt sich wieder in seinen Polstersessel fallen. «Gute Idee», sagt sein Nachbar, der bis jetzt mit seinem Hörgerät beschäftigt war, «machen wir doch eine Resolution!» Zustimmendes Gemurmel, dann ein Moment Stille, die vom jüngsten Teilnehmer der Runde mit einem Wort beendet wird: «Worüber?» – «Über die Lage im Irak», schlägt ein Herr vor, der bis jetzt nichts gesagt hat. «Zu unübersichtlich», sagt ein anderer. «Wie man den Euro retten könnte», sagt eine Dame. «Das sollten wir den Experten überlassen», erwidert ihr Nachbar zur Linken. «Wie wäre es mit einer Erklärung über die Atompolitik des Irans?», fragt ein ehemaliger EU-Kommissar. «Denken Sie doch nur an die europäischen Exporte», weist ihn ein gewesener Aussenminister zurecht. Wieder ein Moment der Stille, alle denken intensiv nach. Da hebt wieder der Jüngste in der Runde die Hand: «Israel, die Siedlungspolitik und ihre Folgen für den Welt. . .» – Bevor er seinen Satz beenden kann, bricht Jubel aus. «Das ist es!», rufen alle durcheinander: «Das machen wir!»
Man bestellt eine weitere Kiste Louis Saveur, mehrere Lagen Monte Veronese, eine Schachtel Lady Godiva und macht sich an die Arbeit. Nach zwei, drei Stunden ist die Resolution fertig. Darin geht es zuerst um Produkte, die in den besetzten Gebieten erzeugt und als «made in Israel» in Europa vermarktet werden: Datteln, Oliven und Zitrusfrüchte. «Wir erachten es als schlichtweg unerklärlich, dass solche Produkte immer noch in den Genuss bevorzugter Handelsabkommen zwischen der EU und Israel kommen.»
Der zweite Punkt ist nicht minder wichtig. «Die EU macht seit Jahrzehnten unmissverständlich klar, dass sie die Siedlungen in den besetzten Gebieten als illegal erachtet, doch Israel baut sie weiter. Wie jedes andere Land sollte Israel für seine Handlungen zur Verantwortung gezogen werden. Die Glaubwürdigkeit der EU steht auf dem Spiel.»
Dann heisst es in der Erklärung: «Unsere Gruppe möchte betonen, dass die EU in den vergangenen zwei Jahrzehnten sehr substanzielle Investitionen in den Aufbau der Fundamente einer Zwei-Staaten-Lösung getätigt hat – nicht zuletzt mit dem Geld von EU-Steuerzahlern.»
Schliesslich wird für den Fall, dass Israel seine Politik nicht ändert, der Europäische Rat aufgefordert, «die Angelegenheit an die internationale Gemeinschaft weiterzuleiten», die dann «eine Vision und eine Strategie für die Lösung des Konflikts» entwickeln solle. Mit einem Wort: Die Causa Nahost soll an die Uno übergeben werden. Das Papier ist recht detailliert, drei Begriffe freilich kommen darin nicht vor: Hamas, Hisbollah und Iran.
Am nächsten Tag melden die Agenturen, «26 ehemalige europäische Staatsoberhäupter, Minister und Vorsteher von europäischen Organisationen» hätten die EU dazu aufgerufen, «gegen Israel vorzugehen», darunter solche «Schwergewichte wie Helmut Schmidt, Richard von Weizsäcker, Felipe Gonzáles, Romano Prodi und Mary Robinson». Einige dieser «Schwergewichte» sind serielle Versager wie Romano Prodi und Mary Robinson, die Europa genau die Probleme eingebrockt haben, unter denen es heute ächzt, andere gehören inzwischen zu den Pflegefällen wie Helmut Schmidt, der sich nicht mehr aus eigener Kraft bewegen kann. Aber die verbleibende Restenergie reicht allemal, um von einem europäischen Feldzug gegen Israel zu träumen. Bei dieser Vorstellung kommt wieder Leben in das Labskaus. Und wenn sich die Elder Statesmen Europas das nächste Mal treffen, werden sie darüber beraten, ob sie ihre Ersparnisse in polnischen Zlotys oder tschechischen Kronen anlegen sollen.
Erschienen in der Weltwoche Ausgabe 50/10
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