Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
12.04.2010 00:01 +Feedback
Nachdem wir einen Bankomaten gefunden haben, der unsere EC-Karten annimmt, sagen wir “Schukran” zu Waled und verlassen Akko in Richtung Norden - auf dem Highway Nr. 4 bis nach Nahariya, dann auf die 89, vorbei an Ma’alot. Bei Sasa nehmen wir die 889, die entlang der israelisch-libanesischen Grenze verläuft. Wenn man die Hand aus dem Fenster raushält, ist man schon auf libanesischem Territorium. Nach einer halben Stunden kommen wir in Menara an, dem vermutlich kleinsten Kibbutz des Landes, in den 40er Jahren von einer Gruppe junger palästinensischer Juden mit Migrationshintergrund in einer wilden und unzugänglichen Gegend gegründet. Hier haben sich Rachel und Rafael Jakov vor 65 Jahren kennegelernt. Sie wurde in Palästina geboren, er kam 1939 mit seinen Eltern aus Deutschland. Ihre Eltern waren “Halutzim” (Pioniere), seine Eltern waren Ärzte, die in Heidelberg studiert hatten. Rachel und Rafael haben den Kibbutz buchstäblich aus dem Nichts mit aufgebaut, es gab keinen Strom, keine Wasserleitung und keine Baumaschinen, um die Felsbrocken einzusammeln und zu Terrassen zu stapeln. Jetzt sind sie Pensionäre, genießen einen bescheidenen Wohlstand in einem kibbutzeigenen Haus, schauen jeden Tag über bebaute Felder und bewaldete Hügel und sagen: “Sie können es sich nicht vorstellen, wie es früher hier ausgesehen hat.”
Menara, sagt Rachel, ist ein “klassischer aber kein traditioneller Kibbutz”, es gibt keinen gemeinsamen Speisesaal, jeder kocht und isst für sich allein. Aber die Landwirtschaft, die Hühnerfarm und eine kleine Elektronikfabrik werden gemeinsam bewirtschaftet. Obwohl Menara im Bereich der Hisbollah-Raketen liegt, haben die Jakovs nie daran gedacht, den Kibbutz zu verlassen. Sie haben vier Kinder in die Welt gesetzt- ein Sohn ist im Jom-Kippur-Krieg 1973 gefallen - und inzwischen elf Enkel und vier Urenkel. Damit haben sie auch einen Beitrag zur Besiedlung des Landes geleistet, zwei muntere alte Zionisten, die auf ein ereignisreiches und sinnerfülltes Leben zurückblicken. In zwei Wochen fliegen sie nach Deutschland. Rafael will das Eifeldorf Speicher bei Bitburg besuchen, aus dem seine Mutter stammt, Rachel ein paar Freunde ihres ermordeten Bruders Yitzhak Rabin treffen. Und wenn sie wieder in Menara sind, werden sie dem Allmächtigen danken, dass er sie nicht in der alten Welt vergessen hat - nicht damals und nicht heute.
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