Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
19.04.2010 01:16 +Feedback
“Wenn der Deutsche hinfällt, dann steht er nicht auf, sondern schaut, wer ihm schadenersatzpflichtig ist.” Wie recht Tucholsky mit dieser Feststellung hatte, kann man in diesen Tagen erleben, da ein isländischer Vulkan, dessen Namen niemand aussprechen kann, den gesamten Luftverkehr zum Stillstand gebracht hat. A dream comes true, möchte man meinen, haben doch die Umweltschützer immer wieder ausgerechnet, wie sehr die Luftfahrt das Klima belastet und wie viele Tonnen C02 täglich in die Atmosphäre gepustet werden. Aber so richtig jubelt niemand, denn Zehntausende deutsche Urlauber sitzen auf den Kanaren und Mallorca fest. Deren schreckliches Schicksal wird uns, die wir vorausschauend daheim geblieben sind, jeden Abend in der “tagesschau” und im “heute-journal” vorgeführt. Die Menschen, die 1945 zu Fuss über das Kurische Haff flüchten mussten, hatten es dagegen besser, denn sie mussten sich nicht die Frage stellen, wer ihnen den Schaden ersetzen wird oder ob ein Fall von höherer Gewalt vorliegt, der jede Haftung und alle Regressansprüche ausschliesst. Hinter der Aschewolke des Eyjafjallajökull verschwindet auch die Idee, dass jeder jederzeit überall hinfahren kann; denn was nützt einem das günstigste Ticket für 9.90 Euro, wenn der Rückflug nicht garantiert ist und man für einen Leihwagen etwa so viel bezahlen muss, wie das Auto wert ist?
Dabei hätte die Katastrophe verhindert werden können, wenn die Teilnehmer des letzten Weltklimagipfels in Kopenhagen nicht nur beschlossen hätten, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf höchstens zwei Grad festzulegen, sondern auch daran gedacht hätten, den Vulkanen jede Tätigkeit zu untersagen, deren Folgen über das unmittelbare Umfeld des jeweiligen Vulkans hinausgehen. Diese Chance wurde versäumt, und jetzt haben wir den Schlamassel.
So hat übrigens schon einmal eine Katastrophe von Island aus ihren Lauf genommen, mit dem Ausbruch des Laki im Jahre 1783, worauf sich der Himmel über Europa verdunkelte und Mißernten zu Hungersnöten führten. Sechs Jahre später entlud sich der Zorn der verelendeten Massen in der Französischen Revolution.
So weit wird es diesmal wohl nicht kommen, es sei denn Geldof, Bono und Grönemeyer tun sich wieder zusammen und rufen zum Widerstand gegen die Macht der Vulkane auf. Fürs erste aber überwiegen die Vorteile. Menschen, die in den Einflugschneisen leben, können endlich ruhig schlafen, Flugzeuge, die nicht fliegen, können auch nicht entführt werden, Terroristen sitzen frustriert in ihren Verstecken und spielen “Mensch ärgere dich nicht”. Vor allem aber: vom 9. bis zum 11. April fand in Bonn eine UN-Klimakonferenz statt, über die in den Medien überhaupt nicht berichtet wurde. Das heisst, die Konferenz hat eigentlich gar nicht stattgefunden.
Die Delegierten - es sollen etwa 2000 gewesen sein - waren zusammengekommen, “um die Scherben von Kopenhagen zu kitten”, sie gingen auseinander, ohne ihrem Ziel, “einen ambitionierten Fahrplan für die diesjährigen Verhandlungen über die Zukunft des weltweiten Klimaschutzes” aufzustellen, auch nur einen Schritt näher gekommen zu sein.
Danke, Eyjafjallajökull!
© Copyright Henryk M. Broder | Impressum