Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

21.01.2010   09:28   +Feedback

Geschichten von der Waterkant

Es geschah am 25. Oktober 2009 mitten in der Hansestadt Hamburg, die für ihre Liberalität und Toleranz berühmt ist: Ein autonomes Rollkommando verhinderte die Vorführung des 37 Jahre alten Films von Claude Lanzmann «Warum Israel» in einem Szenekino. Die Besucher wurden mit physischer Gewalt am Betreten des Kinos gehindert, es sollte ihnen so ergehen wie Palästinensern, die israelische Strassensperren nicht passieren dürfen.

Der «Vorfall» blieb eine Weile unbeachtet, die Hamburger Lokalpresse, die sonst jedem toten Fisch auf St. Pauli einen Nachruf widmet, nahm ihn nicht zur Kenntnis. Erst nachdem Spiegel online am 19. November den Fall zum Skandal machte, zogen andere Medien nach. «Die Leute waren vermummt, trugen Kleidung in Tarnfarben, einer hatte sich die, auf ein Stück Klopapier gemalte, israelische Flagge angesteckt. Ihr Auftreten war massiv militärisch, in der Hand hielten sie selbstgebastelte Maschinengewehre aus Holz. Mit Videokameras und Fotoapparaten nahmen sie alle auf, die ins Kino wollten», berichtete der Betreiber des Kinos. Mehrere Zeugen berichteten, sie seien von den Autonomen als «Judenschweine» beschimpft, bespuckt und geschlagen worden. Diese wiederum bestritten in einer Presseerklärung die Vorwürfe und rechtfertigten die Aktion damit, es sei ihnen darum gegangen, eine «prozionistische Veranstaltung» und «Hetze» zu stoppen.

So etwas hatte es in der Bundesrepublik noch nie gegeben. Es war das erste Mal seit dem Ende des Dritten Reiches, dass ein «Judenboykott» durchgesetzt wurde, Antisemitismus als Antizionismus maskiert. Hätte es sich um Rabauken der NPD oder andere Neonazis gehandelt, wären die Innenminister der Bundesländer umgehend zu einer Krisensitzung zusammengekommen, um über eine Verstärkung des «Kampfes gegen rechts» zu beraten. Weil es aber Linke waren, die sich wie eine SA-Horde aufführten, dauerte es eine Weile, bis die Überraschung dem Schrecken weichen konnte.

Letzten Montag wurde Lanzmanns «Warum Israel» doch noch in Hamburg gezeigt, in einem Klub namens «Uebel & Gefährlich» unter dem Dach eines Bunkers aus dem Zweiten Weltkrieg, unweit der Stelle, an der vor fast drei Monaten die Vorführung verhindert wurde.

Die meisten der über 400 Besucher waren noch nicht geboren, als der Film gemacht wurde; drei Stunden lang schauten sie sich ein Israel an, das es so nicht mehr gibt. Am Ende gab es Beifall und dankbares Aufatmen: Es war alles gutgegangen. Kein Autonomer hatte sich sehen lassen.

Dummerweise gab es auch, wie bei solchen Anlässen üblich, eine Diskussion über die «Aktualität» des Films. Lanzmann, aus Paris angereist, nutzte die Gelegenheit, in einem 40 Minuten langen Monolog an seine Aktivitäten in der Résistance und seine Freundschaft mit Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir zu erinnern; der Kulturtheoretiker Klaus Theweleit erklärte den Unterschied zwischen einem Buch und einem Film, und der Herausgeber der Zeitschrift Konkret, Hermann Gremliza, sagte, dass er sich habe überreden lassen, an der Diskussion teilzunehmen, lieber würde er etwas darüber schreiben.

Statt Nabelschau zu betreiben, hätte man auch über einen zweiten Skandal reden können, der ebenfalls mit Lanzmann und mit Hamburg zu tun hat. Ausgerechnet die liberale Wochenzeitung Die Zeit hat sich verpflichtet gefühlt, den Rowohlt-Verlag vor einer Veröffentlichung von Lanzmanns Memoiren zu warnen. Er habe 1949 einen inzwischen vergessenen «Reichskunstwart» der Weimarer Republik namens Edwin Redslob als NS-Mitläufer geschmäht und einen falschen Grund für dessen Entlassung als Rektor der Freien Universität angegeben. Damit habe sich «Lanzmann, das Mensch gewordene Monument der historischen Verantwortung», unglaubwürdig gemacht, er «verändert die Geschichte – nach seinem Interesse».

Die Methode, mit einem Detail ein ganzes Werk in Zweifel zu ziehen, ist nicht neu. Über die Frage, ob man Konzentrationslager mit KZ oder KL abkürzen sollte, sind auch lange Debatten geführt worden.

Das ist schon eine Weile her. Heute ist Lanzmann für die Autonomen ein zionistischer Provokateur, für Die Zeit ein Geschichtsfälscher. Das neue Deutschland lässt grüssen – von A bis Z.

C: Weltwoche, 21.1.10

Siehe auch:
http://www.abendblatt.de/kultur-live/article1348619/Zu-viel-Ehrfurcht-vor-dem-Stargast.html

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