Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
15.03.2010 12:36 +Feedback
Wie geht es Island? fragte der Tagesspiegel am 28.2. und lieferte sogleich die Antwort: Schlecht. Bis vor kurzem war Island “das fünftreichste Land der Welt”, doch jetzt sind viele Isländer “auf Suppenküchen angewiesen”.
Das ist doch eine tolle Geschichte, denke ich, Isländer, die mit ihren Mega-SUVs vor Suppenküchen anrollen, um einmal am Tag einen Teller warme Suppe zu bekommen.
Ich fange meine Recherche bei “Hemma og Valda” an, einem alternativen Cafe in der Ecke Laugevegur/Klapparstigur. Valdi, einer der drei Betreiber des Cafes, bietet seinen Gästen jeden Tag eine andere Suppe an, aber die ist nicht umsonst, eine Portion kostet 850.- Island Kronen, das sind etwa fünf Euro. Von richtigen Suppenküchen in Reykjavik hat Valdi noch nichts gehört, bis auf die der Heilsarme, aber die gebe es schon seit Jahrzehnten.
Das Mokka in der Skolavordustigur ist das älteste Cafe in Reykjavik, es wurde vor 52 Jahren von einem isländischen Ehepaar gegründet, das die Kunst der Kaffeezubereitung in Italien gelernt hatte. Seit der Gründung hat sich weder die Einrichtung noch das Menü geändert; auch das Publikum scheint mit dem Mokka älter geworden zu sein. Bis auf Katarina, eine junge Frau hinter der Theke, sie kommt aus Münster und studiert an der Universität von Reykjavik Biowissenschaften. Sie spricht isländisch, aber von Suppenküchen in der Stadt hat sie noch nicht gehört; allerdings, am Laekjatorg im Zentrum der Stadt würden jeden Sonntag Lebensmittel, die schon „abgelaufen“ wären, an Bedürftige verteilt. Ich bestelle einen Tee und einen Fruit Cake, zahle 890.- Island Kronen und überlege, ob ich Katarina auf eine Suppe im Prikid einladen soll, eine alte Bar im Art-Deco-Stil an der Ecke Bankastraeti und Ingolfstraeti.
Als “Soup of the Day” gibt es im Prikid eine cremige Curry-Suppe. Sie sieht ein wenig müde aus. Ich will wissen, wo es die nächste Suppenküche gibt. Svala überlegt kurz und sagt dann: “Versuch es bei der Heilsarmee.” Die ist, wie fast alles in Reykjavik, nicht weit. Die Salvation Army unterhält ein preiswertes Gästehaus im Zentrum der Stadt, direkt neben dem Parlamentsgebäude. An der Rezeption sitzt Olga, sie ist vor acht Jahren aus der Ukraine nach Island gekommen und spricht inzwischen fliessend Isländisch. Außerdem auch Polnisch, was die Kommunikation mit ihr sehr erleichtert. Ja, sagt Olga, die Heilsarmee betreibe eine Suppenküche, aber nicht in der Stadt, sondern draußen am Hafen, in Eyjarslod, jeden Tag von 12 bis 18 Uhr.
Langsam bekomme ich Hunger. Ich gehe quer über den Austurvöllur ins Cafe Paris, das Kranzler von Reykjavik. Es ist kur vor drei, das Paris ist gut besucht. Ich bestelle eine Kanne Tee und eine Portion Brot, um mich für den langen Weg zur Suppenküche der Heilsarmee zu stärken.
Dann hole ich Audunn ab und wir rollen zusammen zum Hafen. Das Haus der Heilsarmee war früher eine Lagerhalle. Unten ist jetzt ein Thrift Shop mit gebrauchten Kleidern, Möbeln und Haushaltsartikeln, im ersten Stock die Sozialstation: Eine gute Stube mit Fernsehen und Computern, Küche, Duschen und Räume, in denen sich die “Gäste” tagsüber ausruhen können. Heute, sagt Mandy, die für die Betreuung der “Gäste” zuständig ist, “war nicht viel los”, es sind nur 16 Essen ausgegeben worden. Zum Monatsende hin wird es mehr, am 28. Februar z.B. waren es 32 Essen. Mandy ist 20, sie hat vor einem Jahr ihr Abitur mit 1.9 gemacht und trotzdem keinen Studienplatz bekommen. Deswegen hat sie sich beim European Voluntary Service beworben und den Job bei der Heilsarmee in Reykjavik bekommen. Wenn Sie im September, nach einem Jahr in Island, nach Deutschland zurückgeht, will sie sich wieder um einen Studienplatz bemühen.
Nur ein Teil der “Gäste”, sagt Mandy sind Isländer, die keine Arbeit und keine Angehörigen haben und nicht wissen, wohin sie gehen sollen. Die anderen sind Polen und Litauer, die in Island gearbeitet, im Zuge der Krise ihre Jobs verloren haben und nicht zurück wollen. Alles in allem zwei Dutzend Männer und Frauen, die durch “alle sozialen Netze” gefallen sind.
Morgen setze ich meine Suche nach den Suppenküchen fort, auf die so viele Isländer inzwischen “angewiesen” sind. Ich könnte natürlich auch den Kollegen vom Tagesspiegel anrufen und fragen, aber so einfach will ich es mir nicht machen. Der Weg ist das Ziel. Auch wenn ich heute keine richtige Suppenküche gefunden habe, ich bin ein paar netten Leuten über den Weg gelaufen; Valdi, Katarina, Svala und Mandy.
Morgen gehts weiter.
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