Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

22.10.2009   10:02   +Feedback

Das Gesicht der Schweiz

Von Deutschland aus betrachtet, erschien die Schweiz immer als eine Insel der Glückseligkeit. Eine stabile Währung, solide politische Verhältnisse, die auch durch Wahlen nicht ins Wanken geraten, kaum Arbeitslosigkeit, keine Extremisten, so gut wie keine sozialen Verwerfungen. Die Schweiz war schon «multikulti», bevor in Kreuzberg die ersten Dönerbuden aufmachten. Ein schlanker Staat, vier Sprachen und viele Ethnien, zusammengehalten durch die Idee der Basisdemokratie.

Die Idylle hat auch eine dunkle Seite. Die Schweizer gelten nicht als besonders temperamentvoll. Es fällt schwer, sich zwei Schweizer im Rausch der Leidenschaft vorzustellen. Vermutlich machen sie ein Konto auf, wenn sie beschliessen, sich zu vermehren. Doch solange in der Schweiz das Bankgeheimnis galt, war das Image des Landes unbefleckt wie ein sizilianisches Bettlaken vor der Hochzeitsnacht. Das änderte sich erst mit dem Skandal um die «namenlosen Konten», deren Existenz der Schweizer Unschuld ein Ende setzte. Als Nächstes war die Swissair dran. Dass eine staatliche Schweizer Firma, die weltweit operiert, pleitegehen könnte, schien bis dahin so unvorstellbar wie eine Ansprache des Papstes zum Christopher Street Day.

Seitdem geht es mit der Schweiz bergab, ähnlich wie mit der SPD in Deutschland. Anders freilich als die Sozialdemokraten, die ihren eigenen Ausverkauf inszenieren, ist die Schweiz kein insolventes Unternehmen, nur das Image des Landes befindet sich im freien Fall.

Und dafür gibt es gute Gründe. Nehmen wir nur die Anti-Minarett-Initiative. Man kann für oder gegen den Bau von Moscheen sein. Am klügsten wäre es, den Bau von Moscheen (in der Schweiz ebenso wie in Deutschland oder Österreich) an eine Bedingung zu knüpfen: Bei uns können Moscheen gebaut werden, wenn bei euch Kirchen gebaut werden dürfen. Natürlich nicht im Verhältnis eins zu eins, sondern je nach Bedarf. Sich über die Höhe der Minarette aufzuregen, ist mehr als albern, ein Zeichen virtueller Empörung, die das Kind nicht beim Namen nennen will. Wie viel Minarett darf’s denn sein?

Noch peinlicher ist die Schweizer Performance gegenüber Libyen, einem Schurkenstaat erster Klasse. Hier von Appeasement, Liebesdienerei und Opportunismus zu sprechen, wäre reine Lobhudelei. Es ist die totale Kapitulation, die man auch mit wirtschaftlichen Interessen nicht erklären kann. Vergessen ist die Affäre um die sechs bulgarischen Krankenschwestern und den palästinensischen Arzt, die unter dem Vorwurf, libysche Kinder mit Aids angesteckt zu haben, jahrelang festgehalten und gefoltert wurden, bis sich die EU ihrer erbarmte und sie für viele Millionen Euro auslöste. Jetzt sitzen seit über einem Jahr zwei Schweizer Bürger in Libyen fest, und die Schweiz traut sich nicht einmal, mit dem Abbruch der diplomatischen Beziehungen zu drohen oder den Fall vor den Menschenrechtsausschuss der Uno zu bringen – aus Angst, die Situation könnte noch schlechter werden. Der Schweizer Bundespräsident reist vollmundig nach Tripolis und kommt mit leeren Händen zurück, im Gepäck nur das Gepäck seiner Landsleute, die er heimholen wollte. Unfähig, ihre eigenen Belange mit Nachdruck zu vertreten, will die Schweiz einen Beitrag zur Lösung internationaler Konflikte leisten. Es ist, als würde ein blinder Passagier dem Kapitän eines Schiffes sagen, wohin die Reise gehen soll.

Man könnte das alles mit einer gewissen Unbeholfenheit erklären, die durchaus ihren Charme hat. Wer lange einen Tante-Emma-Laden geführt hat, ist nicht automatisch qualifiziert, einen Supermarkt zu managen. Er muss es erst lernen. Aber das ist es nicht. Das Schweizer Dilemma ist nicht ein Mangel an Erfahrung, sondern ein Surplus an Übermut, verkörpert durch die chronisch gutgelaunte Chefin des EDA, Bundesrätin Micheline Calmy-Rey. Sie ist das Gesicht der Schweiz. Dass sie sich nun im Streit um die Minarette einmischt, hat natürlich aussenpolitische Gründe. Ein Minarett-Verbot, meint sie, könnte das Exportland Schweiz in Schwierigkeiten bringen. «Die muslimischen Länder gehören ebenfalls zu unseren Kunden.» Das Aussendepartement habe bereits vorgesorgt und die Schweizer Vertretungen in der muslimischen Welt mit Informationsmaterial beliefert.

Das ist die hohe Schule der Kapitulation. In Deckung gehen, bevor der erste Schuss abgefeuert wurde.

C: Weltwoche, 22.10.09
http://www.blick.ch/news/schweiz/das-gesicht-der-schweiz-131546

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