Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
20.06.2009 12:30 +Feedback
Der Initiator dieser Reise, mein Freund Michael Gotthelf, hat auf meine Frage, worüber ich denn reden sollte, gesagt: „Am besten über die deutsch-israelischen Beziehungen, das geht immer“. Es wäre also okay, wenn ich jetzt sagen würde: „Die deutsch-israelischen Beziehungen sind in Ordnung, sie könnten, wie alles im Leben, besser sein, aber so wie sie sind, bieten sie keinen Anlass zu Beschwerden, Klagen oder Panik-Attacken.“ – Und damit wäre ich auch schon am Ende meines Vortrags, und wir könnten mit dem geselligen Teil des Abends beginnen. Das Buffett wartet nebenan. Aber so einfach will ich es Ihnen und mir doch nicht machen. Gute Nachrichten sind keine Nachrichten. Und Sie sind nicht hergekommen, um von mir zu hören, dass Angela Merkel es ernst meint, wenn sie sagt, die Zukunft Israels liege ihr am Herzen. Das ist kein Lippen-Bekenntnis, das ist tatsächlich der Fall. Sie meint es ernst.
Und lassen sie sich auch von den Berichten über die Umtriebe der NPD nicht täuschen. es droht keine zweite Machtergreifung, die NPD ist ein öffentlicher Störfaktor, aber politisch ist sie vollkommen irrelevant. Niemand will mit ihr etwas zu tun haben. Die Partei hat Mühe, eine Bank zu finden, bei der sie ein Konto eröffnen könnte: Zu sagen, die Nationaldemokraten seien politische Außenseiter, wäre schon eine Schmeichelei, sie sind Aliens auf einer Umlaufbahn, auf der sie ganz allein ihre Runden drehen. wobei sie gelegentlich abstürzen und verglühen. Wie kommt es, werden Sie nun fragen, dass so viel über die NPD geredet und geschrieben wird? Ich will Ihnen diese Frage gerne beantworten.
Sich gegen die NPD zu positionieren, ist der einfachste Weg, sich als Demokrat zu präsentieren. Es ist eine Form des nachgeholten Widerstandes gegen die NSDAP. Weil man damals versagt hat, will man heute nicht versagen. Unter dem Motto „Wehret den Anfängen“ treten Demokraten gegen einen Feind an, den sie erst mit der Lupe suchen müssen. Mehr will ich dazu nicht sagen. Das bedeutet freilich nicht, dass es im wiedervereinigten Deutschland keinen Antisemitismus mehr geben würde. Natürlich gibt es ihn, so wie es ihn in jedem anderen europäischen Land gibt, in einem mehr, im anderen weniger.
Zugunsten der Bundesrepublik muss man auch sagen, dass Antisemitismus mittlerweile zu den Haltungen gehört, die nicht salonfähig sind. Man darf im Café nicht mehr rauchen, seine Kinder nicht schlagen, seine Frau nicht zum Geschlechtsverkehr zwingen und Homosexuelle nicht diskriminieren. Und es ist auch nicht mehr opportun, Antisemit zu sein. So eine Haltung, öffentlich geäußert, wird von der Gesellschaft sofort mit Liebesentzug sanktioniert. Ich habe das früher für ein gutes Zeichen gehalten, inzwischen bin ich mir dessen nicht mehr sicher. Man kann ja auch nicht über den Alkoholismus reden und dabei so tun, als gäbe es weder Alkoholiker noch Schnapsfabrikanten.
Denn womit haben wir es zu tun, wenn die Duisburger Polizei bei einer Anti-Israel-Demo, auf der Parolen wie „Tod Israel!“ gerufen wurden, eine Wohnung stürmt, um eine Israel-Fahne zu beschlagnahmen, die von den Bewohnern als Zeichen der Solidarität ins Fenster gehängt wurde? Man habe, erklärte ein Sprecher der Polizei, eine Eskalation vermeiden wollen. und da war es allemal einfacher, eine Israel-Fahne aus einem Fenster zu entfernen, als die aufgebrachten Demonstranten zur Ordnung zu rufen. Und womit haben wir es zu tun, wenn eine Bürgerinitiative dazu aufruft, keine Kartoffeln aus Israel zu kaufen, weil sie in einer Gegend angebaut werden, aus der „1948 die palästinensische Bevölkerung vertrieben“ wurde.
Aber das ist noch nicht alles: Die Israelis haben darüber hinaus „eine intensive Landwirtschaft aufgebaut, welche unter Einsatz von Pestiziden sowie giftigen und umweltschädigenden Substanzen… produziert“, was ebenso unverzeihlich ist wie die Landnahme selbst. Ein solcher Aufruf markiert eine Grenzüberschreitung. Es ist der Ausgangspunkt einer Debatte, die immer weitere Kreise zieht: Ob die Gründung Israels nicht doch ein Fehler war, der rückgängig gemacht werden sollte, ob Israel als jüdischer Staat überhaupt ein Existenzrecht hat.
Seit Anfang der 90er Jahre, also seit fast 20 Jahren, findet eine schleichende Delegitimation Israels statt. Und zwar auf eine wohlwollende Weise. Was mit den Klagen über den Verlust der jüdischen Intelligenz in Europa begann, äußert sich heute in einem Gedankenexperiment: Was wäre, wenn die Juden dahin zurückkehren würden, woher sie gekommen sind? Wäre das nicht eine elegante, gewaltfreie und effektive Lösung der Palästinafrage? Europa hätte seine Genies wieder und vier Millionen Palästinenser könnten in ihre Heimat zurückkehren, aus der 800.000 von ihnen vertrieben wurden.
Die schleichende Delegitimation Israels artikuliert sich auch in der Überlegung, man müsse zum Status quo ante vor der Gründung Israels zurückzukehren. Ein prominenter Promoter dieser Idee ist der britische Historiker Tony Judt. Im Oktober 2003 veröffentlichte er in der angesehenen New York Review of Books einen längeren Essay, der von vielen Blättern weltweit ausgiebig zitiert wurde: „israel: the alternative“. Darin erklärt er die Idee eines jüdischen Staates an sich für überholt. Es handle sich um ein typisches Projekt des 19. Jahrhunderts, das nicht mehr in eine Welt passe, die sich weiter entwickelt habe, „eine Welt der individuellen Freiheiten, offener Grenzen und internationalen Rechts“. Die „Alternative“, die Judt vorschlägt, wäre „ein gemeinsamer, integrierter, binationaler Staat für Juden und Araber“. es sei an der Zeit, so Judt, „das Undenkbare zu denken“.
Judts damals noch exzentrisch wirkender Vorschlag hat inzwischen viele Fürsprecher gefunden. zwar hat man mit gemeinsamen, integrierten und binationalen Staaten in Europa überwiegend schlechte Erfahrungen gemacht – nicht einmal die Tschechen und die Slowaken wollten in einem gemeinsamen Staat leben. Wer, wie Judt, für einen „gemeinsamen, integrierten, binationalen Staat für Juden und Araber“ plädiert, muss wissen, dass er das Ende Israels herbeiredet. Ein „gemeinsamer, integrierter, binationaler Staat für Juden und Araber“ ist die euphemistische Umschreibung für die politische Endlösung der Judenfrage.
Ich habe immer mit großem Unbehagen die Verwurzelung Israels im Holocaust beobachtet. Es ist möglich, sogar wahrscheinlich, dass Israel nicht entstanden wäre, wenn die Nazis nicht versucht hätten, die Judenfrage in Europa zu lösen. Sich an die Katastrophe zu erinnern, ist das eine, sie zur Grundlage der staatlichen Existenz zu erklären, das andere. Ähnlich den Deutschen, die nachgeholten Widerstand praktizieren, reanimieren auch die Israelis die Geschichte, indem sie den Palästinensern die Rolle der Nazis von heute zuweisen. Die mögen auf unpassende Vergleiche ihrerseits auch nicht verzichten und erklären Gaza zu ihrem Warschauer Ghetto. Wahnwitz allerorten.
Und dann gibt es noch Israelis, die als selbstkritische Moralisten das andere, das bessere Israel vertreten, gebildete, intelligente und tapfere Menschen wie Uri Avnery, Ilan Pappe, Avram Burg und Moshe Zuckerman. Sie gehören, ebenso wie die Orangen aus Jaffo und die Weine aus Galiläa zu den Exportartikeln „Made in Israel“, für es die im europäischen Ausland eine ständige Nachfrage gibt. Es sind die nützlichen Idioten der Israelkritik, die sich gerne hinter authentischen Israelis versteckt. Ich möchte Ihnen an einem besonders krassen Beispiel erklären, was ich damit meine. Im vergangenen Herbst hielt der israelische Friedensaktivist Reuven Moskowitz einen Vortrag an der Freien Universität Berlin, der mit folgenden Sätzen angekündigt wurde: „Moskowitz sagt uns, dass gerade wir als Deutsche nicht nur das Recht, sondern sogar die besondere Pflicht zu Kritik an jeder friedenswidrigen Politik (auch der Politik Israels) haben! Er ruft uns dazu auf, die Mauer des Schweigens und des sich Unterwerfens unter die politische und geistige Erpressung zu durchbrechen Zum Schluss verweist M. auf das Buch ‚Hitler besiegen’, von dem ehem. israelischen Knesset-Vorsitzenden Avram Burg, mit der Hauptthese, dass sich Israel in der Übergangsphase von der Weimarer Republik zum Schreckensregime des Nationalsozialismus befinde. Viel zu lange haben sich Frieden suchende Menschen in Deutschland mit dem Ruf Friede! Friede! an der Nase herumführen lassen, während die israelischen Machthaber dem Frieden unablässig entgegenwirkten.“
In diesen Sätzen steckt alles, was die sog. Israelkritik auszeichnet. Es geht nicht darum, Israel zu kritisieren, was jedermanns und jederfrau gutes Recht ist, es geht darum, den israelkritischen Deutschen zu helfen, ihre Schuldgefühle gegenüber den Juden loszuwerden. Mit dem Mord an sechs Millionen Juden haben sich die Deutschen für die Aufgabe qualifiziert, darauf zu achten, dass die Überlebenden des Holocaust sich ordentlich benehmen. Das ist Balsam auf die wunden Seelen derjenigen Deutschen, die sich von ihrer Geschichte nur erholen können, indem sie darauf verweisen, dass die Juden auch nicht besser sind.
Deswegen kämpft die deutsche Antifa gegen den „Faschismus“, der in Israel die Politik bestimme. Wenn die Aufforderung dazu von leibhaftigen Juden kommt, dann macht dieser Kampf noch viel mehr Spaß, wurde er doch von Juden als koscher abgesegnet.
Falls Sie Reuven Moskowitz nicht kennen, will ich Ihnen gerne sagen, um wen es sich handelt: einen professionellen Aufschneider und Hochstapler, einen Titelbetrüger, den Felix Krull der israelischen Friedensbewegung, wenn auch nicht so elegant und so witzig wie die Figur von Thomas Mann. Seit über 30 Jahren bereist er als Repräsentant der israelischen Friedensbewegung die Bundesrepublik, um Zeugnis abzulegen von den Verbrechen der Zionisten an den Palästinensern und umgekehrt vom Friedenswillen und der Friedensbereitschaft der Palästinenser gegenüber ihren Unterdrückern. Es gibt kaum eine Volkshochschule, eine evangelische oder katholische Akademie zwischen Flensburg und Berchtesgaden, die ihn noch nicht eingeladen hätte. Leute wie Moskowitz, Burg, Avnery, Pappe und andere tragen maßgeblich zur Delegitimation Israels bei, sie sind die Alibijuden des sauberen Antisemitismus, der sich als Antizionismus maskiert.
Ich sagte es schon am Anfang, es ist ein langsamer, ein schleichender Prozess. Aber so wie jeder Dammbruch mit feinen Haarrissen anfängt, so zeigen auch die Sticheleien der „guten Israelis“ auf die Dauer Wirkung. Über die Hälfte der Deutschen ist der Ansicht, Israel sei das größte Hindernis – nicht nur für den Frieden im Nahen Osten sondern in der ganzen Welt. Und so ist es in der Tat höchste Zeit, das Undenkbare zu denken: Ob wir uns nicht dem Tag nähern, da Israel dem Frieden zuliebe geopfert werden könnte. Seit dem Fall der Mauer 1989 wissen wir, dass wir den Genossen Zufall ernst nehmen müssen. Alles ist möglich, auch das Undenkbare. Die Polen konnten es sich 1939 nicht vorstellen, dass sie von den Alliierten im Stich gelassen würden; die Juden nicht, dass kein Staat und keine Regierung sie vor den Nazis retten wollte; die Europäer können und wollen sich heute nicht vorstellen, dass der Iran nach der Atombombe strebt. Deswegen ist es richtig und nötig, das Undenkbare zu denken. über all das wird in den deutsch-israelischen Beziehungen nicht geredet, zumindest nicht offiziell. Inoffiziell allerdings geben deutsche Politiker zu, dass sie sich „große Sorgen“ um die Zukunft Israels machen, und setzen hinzu: „Wenn Israel so weiter macht wie bisher.“
Nach seinem Besuch im Konzentrationslager Buchenwald wurde Präsident Obama von einem NBC-Reporter gefragt, welche Lehren die Juden aus Buchenwald für den Umgang mit den Palästinensern gezogen hätten. Obama ließ den Interviewer auflaufen, indem er antwortete, das eine könnte mit dem anderen nicht verglichen werden: there is no equivalance. Wenn man mich fragen würde, wüsste ich eine bessere Antwort, den kürzesten aller Segenssprüche: Sie haben versucht, uns umzubringen, sie haben es nicht geschafft. Lasst uns essen!
Vortrag in Jerusalem bei der Konrad Adenauer Stiftung (in Zusammenarbeit mit dem Walter Rathenau Institut). Auch erschienen in DIE WELT vom 20.06.2009
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