Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

05.08.2009   16:01   +Feedback

Royals In The Hood 6

Ich kenne Maurice und Rachel seit über 25 Jahren, kennengelernt habe ich sie bei einem Single-Treffen in Graubünden, zu dem ich als Referent eingeladen wurde, damit das Ganze nicht ganz ungeniert als Partnerbörse daherkam. Jetzt sitze ich in der Küche ihres Hauses in Waltham bei Boston, wo die gehobene Mittelklasse residiert. Maurice und Rachel fahren beide einen Toyota Hybrid, trennen den Müll, haben kein Fernsehen und gehen sehr sparsam mit Strom um. “I am an electricity-Nazi”, sagt Maurice und erinnert mich daran, das Licht im Gästezimmer auszumachen. Ich mache das Licht in der Küche aus, wir sitzen im Dunkel. Maurice sagt: “You’re going too far.” Ich mache das Licht in der Küche wieder an.
Auf dem Tisch steht eine gerahmte Urkunde: FOR OUTSTANDING PERFORMANCE IN MARRIAGE, für 25 Jahre Ehe, ausgestellt von einem Ehe- und Familienberater. “That’s just a joke”, sagt Rachel, Maurice sagt nix. Sein Schweigen wird vom Telefon unterbrochen. Auf den Anruf haben Maurice und Rachel seit Tagen gewartet. Es ist Jim, der Handwerker, der die Terrasse des Hauses neu bauen sollte, nachdem sie von Ameisen aufgefressen worden war. Mitten in der Arbeit hatte er seine Sachen zusammengepackt war verschwunden, nachdem Maurice ihn gefragt hatte, wie lange er noch brauchen und ob es bei den 15.000.- $ Kosten bleiben würde. “Be nice to him”, souffliert Rachel, “he is very sensitive and you’ve insultet him”. Maurice senkt seine Stimme. “We know you are an artist and you’re doing a great job…” Er klingt wie ein Therapeut, der ein verhaltensgestörtes Kind aus seinem Versteck locken möchte. Rachel interveniert. “Let me talk to him.” Sie greift zum zweiten Hörer. “Listen, Jim, my husband is French.” Maurice lebt seit über 25 Jahren in den USA, seine Frau wurde in Ungarn geboren, aber wenn es darauf ankommt, ist er immer noch “French”.
Das therapeutische Gespräch mit dem Handwerker dauert eine Viertelstunde. Am Ende steht ein Kompromiss. Jim kommt wieder und macht die Terrasse fertig. Rachel und Maurice werden ihn nie wieder fragen, wie lange er noch brauchen und ob die Arbeit mehr als 15.000.- $ kosten wird.
Danach unterhalten sich Maurice und Rachel über “anxieties”. - Maurice müsste seine Ängste überwinden, zum Beispiel die Angst, von einem Handwerker über den Tisch gezogen zu werden.
Ich schaue mir die Urkunde FOR OUTSTANDING PERFORMANCE IN MARRIAGE noch einmal an. “... solving solvable problems and living well with the unsolvable.” Wenn man hier eine Kamera aufstellen und ein paar Stunden laufen lassen könnte, hätte man die perfekte Sit-Com: Jewish Housewives And Their Desperate Husbands.

 

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