Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
18.04.2009 02:26 +Feedback
Immer, wenn ich vom Süden her nach Berlin zurück fahre, mache ich eine Pause an der Raststätte Köckern-Ost. Es ist die vorletzte Raststätte vor der Zonengrenze und wahrscheinlich die beste entlang der B9. Ein großer, heller Bau in freundlichen Farben, in dem es nach Kaffee und Kuchen riecht statt nach Fett und Formaldehyd. Das kommt daher, dass der Laden von McDonald’s bewirtschaftet wird, mit einem McCafe, das einem Starbucks sehr nahe kommt. Außerdem gibt es für Telekomkunden einen Hotspot mit freiem Zugang. Ich brauche diese kurze Verschnaufpause, um mich zu vergewissern, dass ich keine Fata morgana erlebe: McDonald’s mitten in der Zone, ohne Sättigungsbeilagen und Salatgarnituren, ohne den Geruch von Kohlrouladen und den Anblick von Kakerlaken. So hat es hier früher ausgesehen: http://www.meister-hein.de/10.2/IMG_7515.JPG, und so sieht es hier heute aus: http://www.ahgz.de/news/pages/pics/show/200_008_132580_kock2.jpg
Erkennen Sie den Unterschied? Wie Tag und Nacht, wie Rudolpho Valentino und Jürgen Drews, wie Greta Garbo und Verona Feldbusch.
Bevor ich weiter fahre, bleibe ich kurz an der Candy-Bar stehen. Wo sind sie hin, die Hallorenkugeln, die Othello-Kekse, die Mokka Bohnen, die Ampelmännchen-Fruchtgummis und die Trabi Puffreis Schokolade? Weg sind sie. Das einzige Produkt, das an die gute alte DDR erinnert, ist die “junge Welt”, früher das Zentralorgan der FDJ, heute ein Asyl für ergraute Nationalbolschewiken, die sich daheim vor ihren Erinnerungen gruseln. Ich kaufe mir also ein Exemplar der jW, die mit der Schlagzeile titelt: “Schiesswut gegen Piraten”. Das klingt vielversprechend, endlich setzt sich mal einer für die Rechte der Piraten ein, denen die Ausübung ihres Berufes von der Bundesmarine, der US-Navy und Admiral Nelsons Enkeln schwer gemacht wird. “Die westlichen Staaten”, heisst es in dem Aufmacher, “konzentrierten sich auf den bewaffneten Kampf gegen die Piraterie, statt deren Ursachen - Armut und westliche Raubfischerei - zu beseitigen…”
Bis das letzte Stück Armut in Afrika beseitigt wurde, kann es noch eine Weile dauern, sogar in der SU hat es nach 70 Jahren Kommunismus noch Bettler gegeben. Um die Sache zu beschleunigen, könnte man jedem Piraten ein Abo der jW schenken, damit er sich über politische Alternativen zu seinem Beruf informieren kann. Wäre ich freilich Pirat, würde ich mir jede Unterstützung durch die jW verbieten und das Abo auf dem Schwarzmarkt von Mogadischu gegen ein Kilo Bananen tauschen. Früher hat sich die jW für die Interessen des Prolatariats stark gemacht, nachdem das Proletariat zu ALDI und LIDL rübergemacht hatte, kamen die Palästinenser dran. Und jetzt sind die Piraten an der Reihe. Rette sich, wer kann.
Auch sehr schön:
http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Piraten/usa3.html
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