Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
09.09.2008 10:07 +Feedback
Die Freundschaft zwischen Avi Primor und mir dauert nicht so lange wie die zwischen Michal Bodemann und mir und ist auch bei weitem nicht so herzlich, hat schon aber manche Belastungsprobe überstanden. Zuletzt haben wir uns vor zehn Jahren bei Sabine Christiansen getroffen (http://www.imdb.com/title/tt0692838/). Nach der Sendung bekam ich ein symbolisches Honorar im Gegenwert von 250 kleinen Beukelaer-Rollen, quttierte den Empfang (“Schmerzensgeld erhalten”), raste nach Hause, stellte mich unter die Dusche und schrieb gleich einen kurzen Text für den Tagesspiegel über die Sendung, wie ich sie erlebt hatte - ob z.B. Avi Primor im Studio ein Toupet trug oder nicht. Ich behauptete nicht einmal, er habe eines getragen, ich räsonierte nur darüber, ob es eines gewesen sein könnte. Man wird ja noch mal fragen dürfen. Später hörte ich von gemeinsamen Freunden, Avi Primor sei darüber sehr ungehalten gewesen. Dabei mag ich ihn wirklich. Er sieht nicht jüdisch aus, benimmt sich nicht wie ein Israeli und sein Deutsch ist so wie seine Kleidung: makellos.
Umso überraschter war ich, als ich vor kurzem in der FAZ eine Meldung unter der Überschrift “Falscher Alarm - Avi Primor kritisiert Broder” fand. Nanu, dachte ich, das wird doch nicht etwa eine späte Retourkutsche für das Toupet sein? (http://robhom.genios.de/r_sppresse/daten/presse_faz/20080827/faz.FD1200808271904310.html) Nein, es war nur die Klarstellung eines Sachverhalts aus gegebenem Anlass. Wenn jemand die Behandlung der Palästinenser durch die Israelis mit der nationalsozialistischen Judenpolitik vergleiche, so Primor gegenüber der FAZ, dann sei das zwar “äußerst grotesk”, aber kein Hinweis auf eine antisemitische Gesinnung der Person. Es handle sich vielmehr um “Übertreibungen”, wie man sie bei Kritikern des Besatzungsregimes typischerweise antreffe.
Auch was den Antisemitismus angeht, stellte Primor eine interessante These auf: “Je eher der Antisemitismus schrumpft, desto eher meinen die Leute, dass er wächst.” Offenbar hat sich Avis Antisemitismus ein Beispiel an Herrn Tur Tur, dem “Scheinriesen”, aus Michael Endes wunderbarem Kinderbuch “Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer” genommen: Je näher der Riese kommt, desto kleiner wird er. Damit nicht genug, griff Primor auch zu einem Bild aus Brehms Tierleben: “Wenn man immer nach dem Wolf schreit und endlich kommt einmal der Wolf, dann ist man nicht mehr glaubwürdig, und den echten Wolf kann man dann nicht mehr bekämpfen.”
Ja, so sehe ich das auch. Während alle auf den Wolf warten, laufen die Hyänen durch die Gegend und übertreiben ein wenig. Was mich an dieser Überlegung freilich ein wenig irritiert, ist dies: Retrospektiv und retroaktiv wird immer wieder gefragt, wieso man vor 1933 die Zeichen an der Wand nicht gesehen habe, wieso die Juden zuwarteten, bis die Dinge immer schlimmer wurden, wieso sie keinen Widerstand geleistet und sich wie Lämmer zur Schlachtbank haben führen lassen. Bedeutende Philosophen des 20. jahrhunderts stellen sogar die Frage, warum die Juden nicht einmal einen Sitzstreik unternommen haben, um das Dritte Reich ins Wanken zu bringen.
Und nun kommt Avi Primor daher und sagt, man soll erstmal abwarten, bis der richtige Wolf kommt. Ein Schreihals und Teppichbeisser mit kleinem Oberlippenbart, Verdauungsproblemen und einem Schäferhund namens Blondie. Dann wird Avi Primor die FAZ anrufen und verkünden: “Es ist so weit! Der echte Wolf ist da!”
Worauf der Wolf antworten wird: “Hör auf Avi, das ist ja grotesk, ich übertreibe nur ein wenig.”
Primors Problemzone ist nicht das Toupet. Es ist das, was darunter liegt.
Siehe auch: Die besten der Schlimmsten
http://www.tagesspiegel.de/medien-news/Medien;art290,2254168
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