Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

17.10.2008   19:09   +Feedback

Richtigstellung: Prof. Dr. XY ist kein „alter Kacker“

Regelmäßige achgut-Leser werden sich noch einen Beitrag von Anfang September erinnern, der von einem in Wilmersdorf – vor allem in der Gegend rund um den Ludwigkirchplatz – weltberühmten Soziologen handelte, dessen Gedanken zum Zeitgeschehen ab und zu auch in der taz zu finden sind:  http://www.achgut.com/dadgdx/index.php/dadgd/article/ein_denunziant_mit_anstand/

Zuletzt hatte er sich in der taz vom 1.9. zu Wort gemeldet, um der von mir und der Israel-Lobby bedrängten „Tochter“ solidarisch beizustehen und dabei die sensationelle Behauptung aufgestellt, „vor allem in Deutschland kann der Antisemitismus-Vorwurf tödlich sein“. (http://www.taz.de/1/debatte/kommentar/artikel/1/rufmord-und-rassistische-hetze/) Ja, das musste mal so klar gesagt werden, in einem Land, in dem die Juden die Endlösung der Antisemitenfrage mit äußerster Brutalität und gnadenloser Konsequenz betrieben haben.

Es dauerte nicht lange, und der Anwalt des weltberühmten Wilmersdorfer Soziologen forderte mich brieflich auf, eine Unterlassungserklärung abzugeben. Ich sollte mich verpflichten, nie wieder im Zusammenhang mit seinem Mandanten zu behaupten, a) es habe Konvertiten gegeben, „die ihren Nazi-Eltern den Stinkefinger zeigen wollten“ und b) nie wieder zu behaupten oder zu verbreiten, sein Mandant „sei emeritiert“. An der Feststellung, sein Mandant sei ein „Denunziant mit Anstand“ nahm der Rechtsanwalt dagegen keinen Anstoß und verlangte auch keine Unterlassung.

So weit wäre die Sache schon ziemlich witzig und ein schöner Beleg dafür, wie weit eine symbiotische Beziehung zwischen einem Anwalt und einen Klienten gehen kann. Aber es kommt noch besser. Hatte ich geschrieben, es habe unter mehreren Optionen auch politisch motivierte Konversionen und Konvertiten gegeben, die ihren Nazi-Eltern den Stinkefinger zeigen wollten und die deswegen aus dem Kollektiv der Täter in der Kollektiv der Opfer übergetreten sind, so wurde ich von dem Rechtsanwalt eines Besseren belehrt: „Dass Prof. Dr. XY zu dem Kollektiv der Täter gehört, kommt wohl niemanden in den Sinn. Prof. Dr. XY ist 1944 geboren und dürfte wohl kaum sich damals als Täter betätigt haben…“ Fehlte nur der sachkundige Hinweis, dass im Jahre 1944 besonders viele jüdische Kinder geboren wurden, deren Eltern den Nazis den Stinkefinger zeigen wollten.

Doch schon im nächsten Satz kam das Haser-Füßchen zum Vorschein: „Ich hebe dies nur deshalb hervor, da es auch ein Ihnen bekanntes Land gibt, das sich bei der Tötung von Kleinkindern damit entschuldigt, es habe nur Terroristen ausgeschaltet.“

Welches Land könnte der Anwalt des 1944 geborenen Soziologen, der vermutlich aus Liebe zu gefillte Fisch, Lattkes und Kreplach zum Judentum übergetreten ist, gemeint haben?  China? Sudan? Den Iran?  Zu vermuten, er könnte Israel gemeint haben, wäre eine infame Unterstellung. Andererseits: Kleinkinder umzubringen, das war lange eine jüdische Spezialität, vor allem kurz vor dem Pessach-Fest. Insofern enthält der so subtil formulierte Satz auch eine Komponente, die zumindest in Richtung des Judenstaates weist.

Des weiteren stellt der Anwalt fest, sein Mandant sei mitnichten aus dem aktiven akademischen Dienst ausgeschieden, diese „unwahre Behauptung“ verfälsche nicht nur das „Persönlichkeitsrecht“ seines Mandanten, sie sei zudem „geschäftsschädigend“. Sie bedeute, das Prof. Dr. XY „aus dem beruflichen Leben ausgeschieden ist“, ein emeritierter Forscher werde als „alter Kacker“ angesehen, „der nicht auf dem neuesten Stand von Wissenschaft und Lehre ist“.

Nun habe ich Prof. Dr. XY nie als „alten Kacker“ charakterisiert, ich habe nicht einmal daran gedacht, ihn als „alten Kacker“ zu bezeichnen, weil ich nicht in solchen Kategorien denke und beleidigende Äußerungen wie „alter Kacker“ verabscheue. Es ist mir auch egal, ob er auf einer Autobahnraststätte das Tagesgericht oder einen „Seniorenteller“ bestellt und den „Kröver Nacktarsch“ aus einem gläsernen Kelch oder einer Schnabeltasse schlürft. Das sind nicht meine Kriterien. Hinzu kommt, dass einige meiner besten Freunde „alte Kacker“ sind, die ich bewundere und verehre – Oswalt, Gad und Arno.  Schon deswegen würde ich niemand als „alten Kacker“ beschreiben. Und Prof. Dr. XY ist in der Tat nicht emeritiert, denn er ist erst 64.

Allerdings:  emeritiert bedeutet mitnichten, der Betroffene sei „aus dem beruflichen Leben ausgeschieden“, im Gegenteil. Für manche ist es nicht das Ende sondern die Fortsetzung einer beruflichen Karriere:

„Die Emeritierung ist nicht gleichbedeutend mit der Pensionierung. Professoren, die in Deutschland vor einem (je nach Bundesland unterschiedlichen) Stichtag berufen worden sind, genießen ein besonderes Emeritierungsrecht: Sie erhalten ein höheres Ruhegehalt, das ungefähr der Besoldung vor Eintritt der Emeritierung entspricht. Statt sich emeritieren zu lassen, können sich Professoren auch pensionieren lassen. Ein pensionierter Professor hat im Gegensatz zu emeritierten Professoren keine Dienstpflichten mehr; er kann also beispielsweise sofort die Betreuung von Doktoranden einstellen. Der Emeritierte behält hingegen seine wissenschaftsbezogenen akademischen Rechte, er kann zum Beispiel noch diesbezügliche Dienstreisen unternehmen.“ http://de.wikipedia.org/wiki/Emeritierung

Sowohl Ralf Dahrendorf (geb. 1929) wie Jürgen Habermas (geb. 1929) sind längst emeritiert, dennoch enorm aktiv und angesehen. Sie haben so viel zu tun, dass sie keine Zeit haben, darüber nachzudenken, ob das Adjektiv „emeritiert“ für sie „geschäftsschädigend“ sein könnte.

Allerdings haben sie auch keinen Anwalt, der seinen eigenen Mandanten als „alten Kacker“ bezeichnet.


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