Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
15.11.2006 14:24 +Feedback
Gastbeitrag von Gil Yaron, Tel Aviv
Es könnte genau der Zwischenfall gewesen sein, der die israelische Armee dazu treibt, erneut den Gazastreifen zu erobern. In einem der schlimmsten palästinensischen Angriffe seit einem Jahr fielen gestern bis in die Mittagsstunden 8 selbstgebaute palästinensische Kassamraketen auf die Kleinstadt Sderot an der Grenze zum Gazastreifen. Eltern rasten in Panik in die Schulen, um ihre Kinder nach Hause in die Bunker zu holen. Eine Rakete tötete die 57-jährige Fatima Slutzker auf dem Weg zum Arbeitslosenamt. Die Kassam schlug unmittelbar neben dem privaten Wohnsitz des israelischen Verteidigungsministers Amir Peretz ein. Einem 24-jährigen Leibwächter riss das Schrapnell beide Beine ab. Die Hamas und der islamische Dschihad übernahmen Verantwortung für den Beschuss der israelischen Stadt und erklärten, es handele sich um Vergeltung für einen israelischen Angriff auf Bait Hanun letzte Woche, bei dem 19 Palästinenser ums Leben gekommen waren.
„Die Terroristen werden einen schweren Preis zahlen, vom Chef bis zum letzten Aktivist“, drohte Peretz, der für den Nachmittag eine Sondersitzung des Generalstabs einberufen hatte. Insbesondere seit dem Ende des Libanonkriegs drängt die israelische Armee zunehmend auf eine umfassende Militäraktion gegen die Palästinenser. Seitdem die Israelis im August 2005 alle Siedlungen im Gazastreifen räumten, haben palästinensische Terrororganisationen mehr als 1.000 Kassamraketen auf Städte in Israel geschossen. Besonders besorgniserregend ist für die Militärs aber die anhaltende Aufrüstung der Palästinenser in Gaza. „Aus der Sicht der Hamas ist die Hisbollah aus dem Libanonkrieg als Sieger hervorgegangen. Nun versucht sie, dasselbe Modell in Gaza nachzuahmen“, so ein hochrangiger Offizier aus dem Geheimdienst.
Hamaskämpfer reisen über Ägypten nach Syrien und Teheran, und erhalten dort von Iranern und Libanesen militärische Ausbildung. In den letzten Wochen haben Waffenlieferungen der Ayatollahs die Ausrüstung der Hamas deutlich verbessert:“ Militärischer Sprengstoff, wie Tonnen von TNT und C4, werden jede Woche in den Gazastreifen geschmuggelt und machen die Kassams tödlicher. Zusätzlich schickt der Iran Raketentreibstoff, um deren Reichweite zu vergrößern.“ Vor dem Abzug der Israelis kamen die Kassams 9 Kilometer weit. Heute fliegen sie bereits 14 Kilometer, und bringen so die Stadt Aschkelon in die Reichweite der Terroristen. Mehr als 70.000 Maschinenpistolen, moderne Panzerfäuste und sogar Flugabwehrraketen vom Typ SA-7 soll die Hamas bereits nach Gaza geschafft haben, so Quellen im Generalstab. Die Waffen erreichen die Hamas durch Tunnel, die professionelle Schmuggler und Terrororganisationen graben. Bei dem letzten Einmarsch der Israelis an der ägyptischen Grenze vor zwei Woche entdeckten sie entlang 4 Kilometern 15 solcher Tunnel:“ Und das war nur im Grenzgebiet. Näher der Küste gleicht der Boden einem Schweizer Käse“, so der Offizier.
Angesichts des anhaltenden Beschusses und der Aufrüstung der Palästinenser will die Armee jetzt einmarschieren. Da aus ihrer Sicht der Kampf unausweichlich ist, will sie ihn führen, bevor noch mehr Waffen eingeschmuggelt werden. Den führenden Militärs schließen sich auch der Geheimdienstchef und immer mehr Politiker an. Leitartikler aller Zeitungen fordern „entschlossenes Handeln“. Minister für innere Sicherheit Avi Dichter verlangte bereits gestern, den Raketenbeschuss „mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln“ zu unterbinden, und dabei die Bodenoperationen auszudehnen. So scheint der nächste Schlagabtausch in Gaza nur mehr eine Frage der Zeit.
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