Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena
01.04.2000 13:06 +Feedback
In Lübeck großgeworden, mit Thomas Mann als “früher Pflichtlektüre”, ließ er sich schon mit 16 von den Lyrikern Benn, Celan und Brecht “beeindrucken”. Später las er dann Martin Walser. So war es nur eine Frage der Zeit, bis er selber zur Feder griff und ein Dichter wurde. Bei Peter Voss, inzwischen 59, dauerte es etwas länger, da er zuerst als “Nachrichtenjournalist” beim ZDF “Karriere” machen und Intendant beim Südwestfunk werden mußte, um 1998 den SWF mit dem SDR zum SWR zu fusionieren. Mit rund vier tausend festen Mitarbeitern und einem Haushalt von fast zwei Milliarden Mark stieg der Südwestrundfunk unter der Führung von Peter Voss zum zweitgrößten Sender in der ARD auf. Voss selbst gilt als ein knallharter Macher, der ohne sentimentale Anwandlungen Programme und Mitarbeiter wegrationalisiert. Aber es gibt noch einen anderen Peter Voss, einen Stubenhocker, der zu Weihnachten am liebsten “Kartoffelsalat mit Würstchen” ißt und ein “leidenschaftlicher Leser und Schreiber” geblieben ist. Jetzt legt er seinen ersten Lyrikband vor, “Zwischen den Kratern”, eine Sammlung von 137 Gedichten auf 16o Seiten, alphabetisch sortiert von “Auf der Halde” bis “Zwei im Garten”. Ein Spätberufener meldet sich zu Wort, mit allem, was er bisher nur seiner Schublade anvertraut hat. 199o schrieb er das Gedicht “Exil II”, eine patriotische Miniatur: ”Übrigens möcht ich jetzt / Deutschland verlassen / nicht wegen einiger / hundert geschorener Spinner / auch nicht der anderen / wegen, die ‘Peinlich / Vaterland’ klagen / (leeres Gerede aus / besseren Kreisen) // Ich gehe, um endlich / von außen zu sehen / warum es sich lohnt / hier zu leben.”
Doch Voss blieb und dichtete fleißig weiter. Unter anderem einen Vierzeiler über “Goldfische”: “Im Goldfischteich / badet der Mond. Die Fische / erglühen. Ob aus Neid / oder Furcht, verraten sie nicht.”
Freie Verse sind die Spezialität des dichtenden Intendanten. Doch einige seiner Gedichte reimen sich wie auf Kommando: “Noch gibt die Erde Saft aus ihren Quellen / am Rand der Wüste reifen Mirabellen / an kargen Küsten blühen Immortellen / doch will der letzte Gast die Zeche prellen.”
So legt der SWR-Chef nicht nur eine erstaunliche Begabung, sondern auch viel Mut an den Tag. In den Funkhäusern in Stuttgart, Mainz und Baden-Baden suchen die Mitarbeiter nach versteckten Botschaften in den Gedichten. Eines heißt “Sitzfleisch” und endet mit den Worten: “In meinem Sessel saß ich, ließ die Zeit vergehen.” So wird man Intendant.
Hinterher kann man dann die literarische Zwergsau rauslassen.
1.4.2000
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