Sie haben das Recht zu schweigen. Henryk M. Broders Sparring-Arena

Henryk M. Broder

01.04.2000   13:06   +Feedback

IM Elvira: unheilbar gesund

Barbara Thalheim, Berlin, den 27.3.2000

Sehr geehrter Herr Broder

Sie schreiben im Tagesspiegel, ich hätte keinen Grund auf Sie böse zu sein, nur weil Sie meine “IM-Akte aus der Ablage” geholt haben? Ich bin nicht böse. Keinesfalls. Ich wollte ja meine Akte öffentlich machen. Jedoch nicht durch Sie! Bedenklich scheint mir, daß der Wahrheitsgehalt Ihrer Veröffentlichungen mitunter dem der Stasi-Akten entspricht. Ist es Alzheimer oder Kalkül? Da Sie offensichtlich Wert darauf legen, daß ich Ihnen in Zukunft die Hand gebe, verspreche ich es beim nächsten Mal zu tun. Aber vorher sollten Sie:

  1. zugeben, daß Sie nicht “zufällig” auf meine Akte “gestoßen” sind, sondern daß ich es war, die meine Stasi-Akten - denn es gibt eine Täter- und eine Opfer-Akte, das wollen wir mal nicht vergessen - aus Gründen der politischen Hygiene über einen Journalisten der Frankfurter Rundschau öffentlich gemacht habe. Sie haben lediglich von der Gauck-Behörde einen “Tip” bekommen. Zuvor haben Sie versucht, mich am Telefon einzuschüchtern: “... wenn sie nicht…, dann werden wir Ihre Akten sprechen lassen!”
  2. außerdem zugeben, das Sie Ihren im “Spiegel” 1996 zu eben diesem Thema veröffentlichten Artikel wider besseres Wissen mit Fakten ausgestattet haben, die Sie meinen Akten entnommen haben, die aber nicht der Wahrheit entsprechen. Sie wurden vorab von dem Journalisten der FR darüber informiert, daß die Hauptaussagen in meiner Akte recherchiertermaßen nicht stimmen. Sie konnten es mit Ihrem Berufsethos vereinbaren, sie trotzdem zu veröffentlichen.
  3. auch wenn es nicht zu Ihrem IM-gleich-Schwein-Weltbild paßt, zur Kentnnis nehmen, daß die Berichte in meiner Gauck-Akte über mich verfaßt wurden und nicht von mir. Ein nicht unwesentliches Detail.
  4. hinnehmen, daß ich so partytauglich bin wie Sie, Herr Broder. Nicht Sie haben mich eingeladen, sondern der von Ihnen zitierte Gastgeber, Herr O. (der eigentlich Herr P. heißt, macht ja nichts!) Er kann einladen, wen er will. Das ist sein gutes Recht. Er war übrigens gar nicht so überrascht, wie sie schreiben, mich ja bereits vergangenes Jahr vor laufenden Kameras zu meiner Stasi-Vergangenheit interviewt, und ich habe bereitwillig Auskunft gegeben, weil Herr O. bzw. Herr P. ein Journalist, der - anders als Sie - an dem Menschen hinter den Akten interessiert ist.
  5. Was legitimiert Sie eigentlich moralisch dazu, mich unabhängig von den Zusammenhängen und dem Grad meiner Verfehlung (vor 3o Jahren!) in der Öffentlichkeit Verbrechern gleichzustellen? Haben Sie je den ernsthaften Versuch unternommen, mit mir zu reden?
  6. Und was hat Heinrich Fink in Ihrem auf Bildzeitungsniveau geschriebenen Artikel zu suchen? Im übrigen kümmert sich Professor Heinrich Fink, mit dem ich befreundet bin, in seiner Eigenschaft als MdB im Moment sehr intensiv um den Erhalt der durch Etatkürzungen gefährdeten Künstlersozialkasse der Bundesrepublik. Wie wäre es, wenn Sie darüber einen Artikel schrieben? Dann würde ich Ihnen auch wieder die Hand reichen, beide Hände, wenn Sie darauf bestehen.

Mit freundlichen Grüßen gez. B. Thalheim

Berlin, den 28.3.2ooo

ad 1.

frau thalheim irrt. was sie “politische hygiene” nennt, war ein deal, den sie mit einem kollegen der FR hatte, der auf ihrer akte wochenlang saß, ohne darüber zu schreiben. erst nachdem er erfuhr, daß ich ebenfalls die akte habe, hatte er es plötzlich sehr eilig, rief mich an und machte mir ein “angebot”, daß wir die akte gleichzeitig publik machen.

ich habe auch nie mit frau thalheim telefoniert und schon gar nicht versucht, sie einzuschüchtern. da versagt ihr IM-trainiertes gedächtnis.

es war ein kollege, der sie anrief und um eine stellungnahme bat, worauf sie erklärte, sie würde mit dem SPIEGEL nicht reden, und es wäre ihr egal, was der SPIEGEL über sie schreiben würde. dies zu einem zeitpunkt, als sie sich noch der hilfe des FR-kollegen sicher war.

ad 2.

frau thalheim hat darauf verzichtet, nach der veröffentlichung im SPIEGEL die ihrer ansicht nach falschen fakten zu korrigieren. statt weist sie heute auf die vorab-richtigstellungen eines ihr freundschaftlich verbundenen journalisten hin, der sich vor allem darum bemüht hat, daß die akte nicht publik wird.

ad 3.

inzwischen müßte selbst frau thalheim wissen, daß es IMs gab, die selber berichte schrieben und IMs, deren mündliche berichte niedergeschrieben wurden. ich gebe frau thalheim ihre akte gerne zur einsicht, damit sie sich davon überzeugen kann, daß die berichte nicht über sie verfaßt wurden, sondern von ihr über ihre kollegen dem jeweiligen protokolanten erzählt wurden. ihre “verpflichtung” hat sie zudem handschriftlich abgegeben. oder hat ihr ein böser stasi-mann dabei die hand geführt?

ad 4.

frau thalheim scheint noch immer nicht in der bundesrepublik angekommen zu sein, wenn sie meint, es sich aussuchen zu können, wer über sie berichten darf und wer nicht. herr panzer vom ZDF, den ich aus freundlichkeit als herrn o. anonymisiert habe, darf, ich darf nicht. das macht auch den unterschied zwischen herrn panzer und mir aus: er findet nichts dabei, einen stasi-spitzel auf eine party zu bitten, ich bin da etwas kleinlicher.

es ist mir vollkommen egal, womit sich IM heiner, diesmal “in seiner eigenschaft als mdb”, im moment die zeit vertreibt.

ich kann gut leben, ohne auch nur den daumen von frau thalheim drücken zu wollen.

henryk m. broder, 28.3.2ooo

1.4.2000

Permanenter Link

Uncategorized